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Götterdämmerung in Bayern

Mit dem Tod von Leitmythos Franz Josef Strauß 1988 begann der lange Abstieg des CSU-Organs „Bayernkurier“ zum konservativen Kuriosum. Jetzt soll das sieche Parteiblatt verkauft werden

von KONRAD LISCHKA

„Weißblaue Prawda vor dem Aus“ titelte schadenfroh die Regionalpresse, auch in der jüngsten Leseranalyse über Entscheidungsträger taucht er erst gar nicht mehr auf: Der Bayernkurier, Deutschlands schönste Parteizeitung, hat es schwer. Dabei wird die gerade 50 gewordene „Deutsche Wochenzeitung für Politik, Kultur und Wirtschaft“, im Hauptberuf Organ der Christlich-Sozialen Union, durchaus von Honoratioren gelesen. Von Bayerns Landwirtschaftminister Reinhold Bocklet (CSU) zum Beispiel. Der plauderte mal aus: „Wir schauen natürlich rein, ob unsere Artikel drinstehen.“

In der jüngsten Ausgabe haben einmal mehr christsoziale Minister, Abgeordnete und Spezln die Hälfte der 22 Seiten voll geschrieben. Die Leser finden das alles nicht mehr so spannend – gerade mal 37 Prozent von ihnen würden den Bayernkurier vermissen, gaben sie Umfragern zu Protokoll. Das Blatt kommt dennoch auf eine Auflage von stolzen 150.000 Exemplaren wöchentlich, da es den meisten CSU-Mitgliedern kostenlos ins Haus geschickt wird. Doch nur 12.000 Abonnenten zahlen wirklich, ganze 500 Exemplare werden am Kiosk verkauft. So schießt die CSU Jahr für Jahr bis zu 4,5 Millionen Mark dazu, obwohl die Partei selbst finanziell alles andere als gesund ist. Jetzt hat sie wohl endgültig keine Lust mehr: Die hochdefizitäre Wochenzeitung soll verkauft oder in ein monatliches Mitteilungsblatt umgewandelt werden. Vergangenen Montag vertagte das Parteipräsidium zwar zum vorerst letzten Mal die endgültige Entscheidung, doch noch im Sommer will man Schicksal spielen.

Es gab Zeiten, da wären CSUler für solche Gedanken exkommuniziert worden. Heute schreibt CSU-Generalsekretär Thomas Goppel verschmitzt ins Grußwort zum 50sten des Bayernkuriers: „In schnelllebiger Zeit sollte man sich die Ziele nicht zu weit stecken“.

Franz Josef Strauß, bis heute Leitmythos des Bayernkuriers, sagte gern über seinen 1977 inthronisierten Chefredakteur Wilfried Scharnagl: „Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was Scharnagl schreibt.“

Als Strauß 1988 starb, verlor sein Sprachrohr konsequenterweise schon ein Großteil seiner Existenzberechtigung. „FJS“ lebt zwar bis heute im Impressum als Herausgeber fort, und das Blatt tut sich nicht nur schwer, einen adäquaten Ersatz in der Gegenwart zu finden, auch mit der Wahrnehmung von Realität hapert’s seitdem: Als der Bayernkurier einmal wegen einer technischer Panne doch ohne „FJS“-Vermerk erschien, soll Scharnagl bestürzt die Redaktion verlassen haben – er konnte an dem Tag nicht mehr weiterarbeiten.

Seine Rolle als CSU-Organ erfüllt das Blatt nur noch formal, innerparteilicher Diskurs findet auf den Seiten der „Deutschen Wochenzeitung“ nicht statt – die Parallelen zum Schicksal des Vorwärts sind unübersehbar: Vom der einst einflussreichen politischen Zeitung ist das SPD-Parteiblatt zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Als 1993 Theo Waigel und Edmund Stoiber um die Nachfolge von Ministerpräsident Max Streibl kämpften, schrieb der Bayernkurier zwar sogar einen Aufmacher zum„Wettlauf der Erben“ – meinte aber Björn Engholm und die Rangeleien um den SPD-Vorsitzend. Dann siegte Stoiber, und der Bayernkurier konnte vermelden, dass „tragfähiges Miteinander herrschen soll“. Scharnagl sieht das gar nicht als Defizit, sondern eher als eine Art Bereicherung der Presselandschaft: „Das Monopol, die CSU zu attackieren, überlasse ich gerne anderen.“

Abweichungen von der Parteilinie leistet sich das Blatt aber durchaus – nach rechts außen. Während sich die CSU redlich bemüht, nicht allzu oft Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht zu beschwören, schrieb im Februar 1997 der Redakteur Florian Sumfall vom „moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk“, dem die Macher der Wehrmachtsaustellung „die Ehre absprechen“ wollten. Selbst unter konservativen Parteigenossen wurde da geargwöhnt, ob man so nicht doch zu weit über den rechten Rand hinausschieße. Während sich jetzt die CSU eine Parteizeitung wünscht, die ihre Mitglieder anspricht, würde Scharnagl „am liebsten so weitermachen wie bisher“, moserte CSU-General Goppel ausgerechnet in Bissingers Woche. Auch Stoiber hat fromme Wünsche, dass die Zeitung sich „weiter modernisiert“.

Das klingt fast schon zynisch: Das neue Layout brachte ein Farbfoto auf die erste Seite. Kernstück der inhaltlichen Modernisierung ist die Seite „Informationen und Argumente für die politische Diskussion“. Da steht dann drin, dass der Ströbele ein „Terroristenfreund“ ist. Und sonst? Ansonsten schreiben bayerische Experten zu allerlei bayerischen Themen: Sozialministerin Stamm zur Erbgutentschlüsselung, der Vorsitzende des Ausschusses für kommunale Fragen und innere Sicherheit über „Verbrechen in der Datenbahn“.

Und da lernt man dann, dass Bayern dank der CSU weltweit und auf allen Gebieten führend ist. So darf man es den Blaugrünen danken, dass mittlerweile selbst in Japan Gesetze gegen Kinderpornographie in der Mache sind. Doch derlei wissen die Leser einfach nicht zu goutieren. Vergangenen Herbst rief Stoiber zu einer Solidaritätsaktion auf: Allein 30.000 neue Abonnenten könnten den Bayernkurier noch retten. Bisher sind es gerade mal 2.000. Schlechte Zeiten also für Scharnagls Lebenswerk. Stoiber-Kumpel und Unternehmensberater Roland Berger empfahl schon letztes Jahr, die Zeitung samt Abonnementenkartei zu verkaufen, den Titel Bayernkurier aber für eine Beilage mit Mitglieder-Infos und ein Internetangebot zu behalten.

Die Verhandlungen – angeblich soll Springer vages Interesse signalisiert haben – ziehen sich hin, nicht zuletzt wegen Scharnagls Macht. Er ist bei allen CSU-Vorstands- und Präsidiumssitzungen dabei und kämpft bei stolzen 300.000 bis 400.000 Mark Jahressalär aus Überzeugung für sein Lebenswerk. Es dürfte schwer sein, ihn in den Ruhestand zu locken oder an einen neuen Besitzer zu verkaufen.

Vor zwei Jahren sagte Scharnagl übrigens der Süddeutschen Zeitung, er könne „ein dreibändiges Werk über die Schwächen der CSU schreiben“. Natürlich nur im Scherz.

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