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Die Kombitherapie für sorglose Reiche

In Industriestaaten ist das Schreckbild Aids verblasst. Afrika und Asien kriegen keine Patente für Medikamente

BERLIN ■ taz Aids-Aktivisten, Menschenrechtsorganisationen und Gesundheitsexperten aus den armen Ländern nehmen das Motto der Welt-Aids-Konferenz ernst. Durban, so heißt es in einem Aktivistenflugblatt, solle zum aidspolitischen „Seattle“ werden. Durch gewaltfreie Demonstrationen und Aktionen sollen westliche Regierungen und die Pharmaunternehmen angeprangert werden, die der Mehrheit der Aidsbetroffenen den Zugang zu den lebensverlängernden Medikamenten verweigerten. Die rund 20.000 Dollar Kosten pro Jahr für eine Kombinationstherapie, die seit der Welt-Aids-Konferenz vor sechs Jahren im kanadischen Vancouver Zehntausenden von HIV-Positiven und Aidskranken in Europa, Nordamerika und Australien das Leben gerettet hat, diese Kosten sind für Aidsranke in Simbabwe oder Vietnam, Thailand oder Mosambik unbezahlbar.

Seit Monaten kämpfen Gesundheitsminister afrikanischer und asiatischer Länder Seite an Seite mit den Organisationen „Ärzte ohne Grenzen“, „Treatment Action Campaign“ (TAC) und den schwulen Aktivisten von „Act up“ darum, dass die Entwicklungsländer eine Zwangslizenz für die Kombinationstherapien erhalten. Sie würde es den Entwicklungsländern unter Umgehung des Patentrechts erlauben, die lebensverlängernden Medikamente selbst und damit billiger herzustellen. Die rechtliche Handhabe bieten die Bestimmungen des Trips-Abkommens (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) der Welthandelsorganisation (WTO). „Ländern wie Thailand oder auch Südafrika jedoch wurde von den USA unverholen mit politischen und ökonomischen Nachteilen gedroht, als sie von Trips Gebrauch machen wollten“, weiß Peter Firmenich, medizinischer Berater von „Ärzte ohne Grenzen“ in Bonn.

In den Industriestaaten sind paradoxerweise gerade die Erfolge der Kombinationstherapie mittelbar für das Ansteigen klassischer Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Gonorrhöe bei Schwulen verantwortlich. Aids wird nicht mehr als Bedrohung angesehen. „Wir sehen jede Woche mindestens zwei Neuinfektionen mit Syphilis oder Gonorrhöe in unser Praxis“, berichtet der Berliner Arzt Arne Jessen. Und: „Seit Anfang dieses Jahres stellen wir auch vermehrt frische HIV-Infektionen fest.“

Daten aus den USA belegen die Zunahme von sexuell übertragbaren Infektionen bei schwulen Männern. In Los Angeles haben sich in diesem Frühjahr innerhalb eines Monats die Syphilisinfektionen bei Schwulen verdoppelt. Eine Studie der Centers for Disease Control (CDC) hat ergeben, dass in den USA die Zahl der Fälle von Gonorrhöe seit 1998 um 9 Prozent gestiegen ist. Zwischen 1985 und 1997 dagegen waren Tripperinfektionen um 64 Prozent zurückgegangen, sagte die Epidemiologin Debra Mosure von den CDC. In Großbritannien sind 1999 die Fälle von Gonorrhöe und Syphilis in der Altersgruppe der 16- bis 19-jährigen Männer um 52 Prozent gestiegen. Auf der anderen Seite des Erdballs, in der Olympiastadt Sydney, verzichteten im vergangenen Jahr 30 Prozent von 1.500 befragten Schwulen beim Analverkehr auf Kondome. Das ist ein Zuwachs von 15 Prozent im Vergleich zu 1996.

Rainer Schilling, Schwulenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, sieht noch keinen Grund zur Panik. Jüngste Untersuchungen des Berliner Sozialwissenschaftlers Michael Bochow hätten ergeben, dass 1999 die Rate der kondomunwilligen Schwulen in Deutschland „nur“ um 5 auf 30 Prozent gestiegen sei. Elisabeth Pott, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, räumt ein, dass die Meldungen aus dem Ausland und das „bei jungen Schwulen seit 1996 stagnierende Schutzverhalten“ ein Warnzeichen seien. Die Zahl der Geschlechtskrankheiten ist 1998 in Deutschland nicht gestiegen. Allerdings, so das Statistische Bundesamt, würden allerhöchstens 15 Prozent der Fälle gemeldet. In San Francisco hat sich die Zahl der HIV-Infektionen bei schwulen und bisexuellen Männern innerhalb von zwei Jah- ren nahezu verdreifacht. Tom Coates, Direktor des Aids-Forschungsinstitutes der University of California in San Francisco, warnt: „Was immer auch in der Aidsepidemie passiert, es passiert in San Francisco zuerst.“

MICHAEL LENZ

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