: Teenie im Glück
Eine Ausstellung im Rahmen der Expo zeigt Herzen satt: vom künstlichen über das Herzkissen bis hin zum geschnitzten Herz an der Toilettenhäuschentür. Einfach herzig
Das Herz an sich ist quietschrot und wohlgerundet. Angesichts der diffus pflasterfarbenen sehnigen Fleischlappen, die in einer Ecke der „Ein Herz für Berlin“-Ausstellung in schummerigen Glaskästen dümpeln (Menschenherz mit Infarkt, krankes Tierherz etc.), müsste die Darstellung eigentlich ganz anders ausfallen. Und auch die angebliche erste Zeichnung eines Herzens erinnert noch nicht an das pralle Ding, unter dem „Ein Herz für Kinder“ prangt: ein matschigbrauner Fleck, den ein Steinzeitmensch in den Brustbereich eines Mammuts gepantscht hat, schön mit einem dicken Stöckchen an die Höhlenwand.
Aber ein Herz ist ein Herz ist ein Herz, und die Geschichte des Herzens, des echten wie des künstlichen, wird bei der Steglitzer Ausstellung im Rahmen der Expo eindrucksvoll und detailfreudig erzählt. Die ersten Kunstherzen wurden noch an riesigen, separaten Wagen hinterhergezogen, natürlich nicht von menschlichen Probanden, sondern von Versuchskälbchen. Ein Kunstherzkoffer mit einem morbiden Ein-Aus-Schalter liegt als Handgepäck in einem Glaskasten. Wie viel das gesunde, nicht liebesbekümmerte oder verfettete Herz durchschnittlich pumpen muss, kann man selbst ausprobieren: Man kann das an einem Schlauch hängende „Herz in die Hand nehmen“ und ein bisschen mitpumpen, was allerdings eher Angst macht. So viel Blut, und dann dieses kleine Organchen ... puh.
Die Ausstellung, die in einen wissenschaftlich-medizinischen, einen „Herz in der Kunst“- und einen kitschig-romantischen Teil aufgegliedert ist, vibriert ein bisschen unter den Tönen eines Herzschlagrhythmus, der die Gehgeschwindigkeit der Besucher zu definieren scheint. Das Herz in der Kunst findet sich in Gemälden, in Gedichten und Geschichten, und natürlich in der Liebesszene jedes Spielfilms. Und das Herz als Kitsch-Symbol schließlich kann aus dem Vollen schöpfen: So viele herzförmige Dinge haben die Ausstellungsmacher gesammelt, von der hässlich-kitschigen Rahaus-Schachtel über das Herz-Sieb zum Herz-Leuchter, dass man sich vorkommt wie ein Teenie im Glück. Endlich wird auch einmal der Frage Beachtung geschenkt, was das Herz auf der Toilettentür zu suchen hat. Die AusstellerInnen haben vier Häuschen zum Hereinschauen (wenn nicht besetzt ist) aufgebaut, jedes unter einem anderen Motto, aber natürlich immer voll mit Herz-Symbolen: Bei „Drang in Pink“ dominieren Plüsch, Federboas und gold umrandete Herzrahmen die Inszenierung, in „Teenager Träume“ sieht es aus wie in einer Bravo-LeserInnen-WG: Britney mit poppigen Herzaccessoires. Zum Klotür-Herzen kann man sich übrigens an einem Ideenwettbewerb beteiligen: „Die Kulturgeschichte hat keine abschließende Erklärung für das Phänomen“, heißt es da, dass das Herz einerseits für Liebe und Leidenschaft, aber andererseits eben auch für jenes Bedürfnis stehe. Die meisten Befragten vertreten angeblich die These, das abstrahierte Herz hätte sich aus dem alten Zeichen für „Hintern“ entwickelt. Und wenn man sich dieses zweibackige Ding mal genau anschaut, scheint das nicht allzu weit hergeholt. JENNI ZYLKA
Ein Herz für Berlin, täglich außer Mo 10–18 Uhr, Focus Mediport, Wiesenweg 10, 12247 Berlin
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