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Und wer entdeckt Slowenien?

Zwischen Zollschranken und Wirtschaftsgrafik: Manifesta 3, die europäische Biennale zeitgenössischer Kunst in Ljubljana, bebildert die Themen Balkankrieg, Migration und Transformation. Doch westliche Prominenz drängt Kunst vor Ort an den Rand

von JOCHEN BECKER

Die blühenden slowenischen Landschaften werden gemächlich von der Bahn durchzogen. Lang streckt sich der Weg zur Manifesta, die als dritte Station einer „europäischen Biennale zeitgenössischer Kunst“ nach Rotterdam und Luxemburg nun in Ljubljana Halt machte. Ab vom Schuss seid ihr ja schon, meinte ich noch leicht gerädert. Doch Gregor Podnar, Leiter der Galerija Skuc, rückt sogleich meine Geografie zurecht: 135 Kilometer nah liegen Zagreb oder Graz, gut zwei Autostunden braucht er nach Venedig, und auch München, Wien, Budapest oder Bratislava sind innerhalb vier Stunden Fahrtzeit zu erreichen. Sein „MSE-projects“ sucht als „Middle-South-East“-Unternehmung den Kontakt mit Institutionen benachbarter Länder, auch um eine neue räumliche Vorstellung zu forcieren. Das flotte Auto, das auch auf dem Katalogumschlag der Biennale prangt und zusätzlich mit dem ovalen Nationalitätenkennzeichen der Manifesta 3 beklebt wurde, ist hier ganz offensichtlich ein Lebensmittel.

Das überall dazugedruckte m-Logo, grafisch umschlungen wie das @-Zeichen, lässt auf eine elektronisch orientierte Biennale schließen. Mit anvancierten net.art-Projekten war der ehemalige Osten ja zumindest im Datenraum rasch an den (ehemaligen) Westen angeschlossen. Doch das Logo gehört zur staatlichen Telefongesellschaft Mobitel, die mit einer viertel Million Mark als Hauptsponsor auftritt. Überraschenderweise ist diese Biennale beinahe frei von Netzkunst. Dafür wähnt man sich bei den Internationalen Kurzfilmwochen – Bildschirme und Videoprojektoren stehen bald in jedem Kabinett der vier Spielstätten bereit. Matthias Müller zum Beispiel hatte für seine verschachtelte Brasilia-Retrospektive „Vacancy“ schon zahlreiche Filmpreise erhalten.

Zwei aus Albanien geflohene Maler arbeiten im Gastland Italien vorerst mit der Videokamera weiter. Jasmila Zbanic etwa hat für „After, after“ eine kriegstraumatisierte Schulklasse in Sarajevo besucht. Die Gesten der Kinder wirken leer und gar nicht aufgekratzt. Auch die von Phil Collins in der ständigen Schausammlung der Moderna galerija abgestellten Fotos von geklammerten Wunden oder aufgerissenen Hochhausfassaden suchen keine Vermittlung mehr zu einer wie auch immer gearteten Kulturnation. Die Produktionsphase der Manifesta 3 fiel in die Kampfphase im Kosovo.

Krieg als Konstante

Balkankrieg, Migration und Transformation entpuppen sich als rote Fäden einer ansonsten konfus wirkenden Gesamtkonzeption. Schon der Bandwurmtitel „Manifesta 3: Borderline Syndrome – Energies of Defence. European Biennial of Contemporary Art“ lässt auf zähe Debatten schließen, worum es denn nun gehen soll bei dieser gesamteuropäischen Kunstschau. Das vom Kurator Ole Bouman registrierte Phänomen der „United Colors of Indifference“ hat den Apparat der Biennale selbst erfasst. Neben Bouman, der auch die niederländische Architekturzeitschrift Archis herausgibt, waren Mária Hlavajová (Bratislava/New York/Utrecht), Kathrin Romberg (Wien) und Francesco Bonami (Chicago/Turin) ins Team berufen worden. Deren kuratorisches Chaos, von dem man gerüchteweise hörte, schlägt sich vor allem im Katalog nieder, der in einen Kessel Buntes mit vermischten Texten ausläuft.

Die nomadisierende und flexibilisiert gemanagte Manifesta setzt auf europäische Geldtöpfe, die für mittel-/osteuropäische Projekte besonders reichhaltig bereit stehen. Das Plakat zeigt einen Herrenreiter auf dem Pferdesprung über eine Barriere, die zwischen Zollschranke und Wirtschaftsgrafik changiert. Die Grenzen der Mobilität spitzen sich in Sejla Kamerics Arbeit zu, die sie auf den Tromostovje (Drei Brücken) im Herzen von Ljubljana installiert hat. Dazu ihr Kommentar: „Als Bürgerin von Bosnien-Herzogowina kann ich frei (ohne Visa) nur in wenige Länder einreisen. Wenn ich nach Slowenien möchte, benötige ich ein Visum, das ich nur dann bekomme, wenn ich auf Geschäftsreise bin oder Freunde mich einladen. An der slowenischen Grenze betrete ich Slowenien durch den Eingang mit dem Schild ‚Andere‘. Wenn Slowenen in andere europäische Länder reisen, müssen sie auch durch den ‚Andere‘-Eingang treten. Wer sind die ‚Anderen‘? Was mache ich bei einer europäischen Biennale zeitgenössischer Kunst als eine ‚Andere‘?“ Nun laufen die Fußgänger unter dem EU- oder „Andere“-Schild hindurch, wobei auf der Rückseite das Gegenteil vermerkt ist.

Eine Entdeckung ist vor allem Amit Gorens Doppelvideoprojektion „Your Nigger Talking“. Inmitten einer kleinen Zweizimmerwohnung stehen unzählige Computer, Videorecorder und Tastaturen auf Bett, Schrank oder Pappkartons. Dazwischen tollen ein Dutzend Kinder aus Ghana, Zaire, Nigeria und den Philippinen herum und zeigen der Kamera Selbstgemaltes oder trinken recht experimentell Wasser. Mittendrin im Chaos sitzt Nana Opoku Agyemang und erzählt für die Kamera Geschichten aus dem illegalen Leben in Israel. Als es klingelt, sind alle blitzartig still. Danach aber ist der Geräuschpegel wieder so hoch, dass Passagen seiner Sätze noch einmal untertitelt als Schrift auftauchen. Aber auch die israelische Verfassung über das allgemeine Recht auf Unterricht oder UN-Flüchtlingsbestimmungen werden eingeblendet. Der Ghanaer lebt ebenso wie die Kinder von Bau- oder FeldarbeiterInnen illegal in Tel Aviv und lehrt vor der Schultafel seines Zweiraumappartements die Kids das kleine Einmaleins ebenso wie afrikanische Geschichte. Gegen Ende ist ein weißes Mädchen zu Gast, dem die Kids unentwegt über Haut und Haar streichen: Israel ist hinter den zumeist geschlossenen Rollos unerreichbar fern.

Seit Fotoschnelllabors in Moskau Einzug halten, sammelt Anton Olshvang deren Ausschuss ein. Diese „unerwünschten Bilder“ hängen nun als aufgeblasenes Repro an der Museumswand und künden von Soldaten im Mohnfeld, Badenixen, die Knochen zusammenhaltende Beinschienen tragen, oder Jungs, die Klassenkameradinnen auf der Schulbank bedrängen: ein kollektives russisches Familienalbum alltäglicher Imperfektion und Gewalt.

Terror des Westens

Katalogautor Konstantin Akinsha erzählt vom „Festival unserer Kindheit“ im „Industriesozialismus“, wo im Klassenverband recycelbares Material gesammelt wurde. Im Kontrast zeichnet das Rotterdamer Designer-Trio Schie 2.0 den Terror westlicher Wohlfahrtsstaaten nach. 120 hochkopierte Laserausdrucke ihrer eingängigen Bild/Text-Kombination „Holland ist ein wohlreguliertes Land“ künden von Reifenprofilen und Bauverordnungen, Verhaltensregeln für Verkaufskräfte und Ladenschlussgesetzen.

Der Cankarjev-Dom gleich im Rücken der Einkaufspassage ist im kolonialen „International Style“ gehalten. Sogleich verirrte ich mich im Kongress „Contraception in the New Millennium“, ausgerichtet von einem niederländischen Pharmaunternehmen. Die Kunst ist hier nur souterrain präsent, wo auch die Verwaltungsarbeit der Manifesta abgewickelt wird. Dort findet sich – in einer Nische über dem Fahrstuhleingang – die Videoarbeit „Borza“ von Sislej Xhafa. Der in Italien lebende Künstler dirigiert die Anzeigetafel des Bahnhofs von Ljubljana, als seien hier die Börsenkurse notiert. Professionell gekleidet, kommentiert Xhafa mit den Armbewegungen eines Brokers die angezeigten Verbindungen. „Go, go!“, ruft er in die Halle, sodass irritierte Zuggäste ihren Schritt beschleunigen, statt etwa an die Börse zu gehen oder gar Bahnverbindungen zu handeln.

Warentermingeschäfte und Risikofonds lassen alles warenförmig erscheinen und annoncieren, was in Mittel-/Osteuropa „Transformation“ genannt wird. Denn im Unterschied zu den Entwicklungsländern erachtet der westliche Kapitalismus die vormals staatskapitalistischen Länder im Osten als anschlussfähig. Pravdoliub Ivanov aus Sofia stellt sich mit einer Arbeit „Transformation braucht immer Zeit und Energie“ auf eine lange Phase ein und kocht dabei auch nur mit Wasser: Im Narodni muzei Slovenije, dem Nationalmuseum von Slowenien, stehen 30 leicht vor sich hin brodelnde Töpfe auf wild verkabelten Elektroplatten. Die Kollektion allerbuntester Pötte hat sich Ivanov schon vor mehr als drei Jahren bei Freunden ausgeliehen. Um nicht zwischendurch im Nebel zu stehen, wurden vorsorglich die Museumfenster geöffnet – mit Blick auf die verbarrikadierte Botschaft der USA gegenüber.

Das dänisch-norwegische Künstlerteam Michael Elmgreen & Ingar Dragset vermachte zwei Frauen aus Ljubljana eine simulierte Privatgalerie. Inmitten der Ausstellungshalle soll erstmals ein kommerzieller Kunsthandel etabliert werden: Start-up-Hilfe für die Marktwirtschaft. „Es ist nicht der Westen, der uns kolonialisiert, wir kolonialisieren uns selbst“, beschreibt die slowakische Kuratorin Mária Hlavajová den Prozess der freiwillig angenommenen Anpassung. In der aktuellen Ausgabe von „Texte zur Kunst“ weist Gregor Podnar auf die kulturpolitische Fehlentscheidung hin, die Manifesta an den lokalen Initiativen vorbei im Multifunktionsklotz Cankarjev-Dom zu verankern und dem Einfluss der staatlichen Verwaltung auszusetzen. Die offielle Politik setzt mit der Biennale auf die nationale Standortkarte, um sich für die EU zu positionieren. So hörte man von einem pompösen Eröffnungsempfang für prominente europäische Gäste, abgehalten in Titos ehemaliger Ferienresidenz. Den beiseite stehenden KünstlerInnen blieb da nur mehr übrig, sich als Rock-’n’-Roll-Nummer unschicklich in den Pool zu schmeißen.

Kunst vor Ort verdrängt

Der Osten wurde in Ljubljana überraschenderweise erst nach 89 entdeckt. Und wer entdeckt Slowenien? Zwei Millionen EinwohnerInnen zählt das Land, weshalb wohl Schottland und Nordirland bei der Manifesta als eigene Nationen gelten. Gerne wird in Österreich noch Laibach gesagt, wenn Ljubljana gemeint ist. Slavoj Zizeks Lacan-Variationen oder die kuratorisch-künstlerische Arbeit von Marina Grzinic – sie arbeitete von 1982–86 in der Galerija Skuc – sind seit den frühen 80er-Jahren auch im Westen einflussreiche kulturphilosophische Exportwaren. Nun jedoch werden den örtlichen Kultureinrichtungen – Basis der in den 80er-Jahren äußerst lebendigen slowenischen Kultur-/Theorieszene – wohl auch noch die Etats gestutzt, da die Manifesta so viel kostete.

Die Sammlung „Arteast 2000+“ der Moderna galerija Ljubljana unter Leitung von Zdenka Badovinac ist derweil in einem Kasernengebäude der ehemaligen jugoslawischen Armee ausgelagert. Rundherum haben sich zudem Ateliers, Bastler und Autoschrauber angesiedelt. Auf drei vollgepackten und rohen Etagen des Gebäudes wurde eine Schatzkammer jüngster mittel-/osteuropäischer sowie westlicher Kunstproduktion erstmals aufgefahren. Die transnational orientierte Sammlung beginnt in den Achtzigerjahren, um im letzten Jahrzehnt gezielt eine Erweiterung der Kunstgeschichte anzustreben. Hier soll einmal ein Museum entstehen, „dessen Ambition in einer neuen Systematisierung der Erinnerung“ besteht, ohne zwischen den Ländern des ehemaligen Ostens oder auch des Westens trennen zu müssen.

„Manifesta“ und auch „Arteast 2000+“ bis 24. 9. in Ljubljana. Die Kataloge kosten umgerechnet 40 Mark. Weiteres unter www.manifesta.org sowie www.2000p.org. Das bis zum 8. Oktober mehrfach wechselnde MSE-Programm der Galerija Skuc findet sich unter www.galerija.skuc-drustvo.si

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