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Entschlackungstour

Kraftwerk ironisch umspielt: Señor Coconut lässt die Techno-Pioniere im elektronischen Latinrhythmus tänzeln

Mit Techno entwickelte sich allmählich auch eine eigene Geschichtsschreibung elektronischer Popmusik. In der ist viel von Chicago, Detroit, New York, London und Ibiza die Rede, aber vor allem auch von Düsseldorf. Denn von dort kommen Kraftwerk – und die Legende geht, dass so ziemlich jede Spielart elektronisch produzierter Tanzmusik hier ihre Wurzeln finden kann. Sei es wegen des futuristischen Konzepts der Menschmaschine, ihrer Technikfetischisierung oder schlicht im Hinblick auf ihr typisches Sounddesign: Von allen Seiten werden Kraftwerk ehrfürchtige Respektbezeugungen entgegengebracht.

Der nach Chile ausgewanderte Ex-Frankfurter Uwe Schmidt, den man als Elektronik-Produzenten auch unter den Namen Atom Heart, lb und vielen anderen kennt, hat sich dem Werk der Düsseldorfer nun nicht über dreistes Epigonentum, sondern auf dem Weg der Neuinterpretation genähert. Anders als jüngst auf den Produktionen zweier anderer Frankfurter, Sven Väth und Anthony Rother, zu hören, klingen bei ihm nicht vertraute Kraftwerk-Elemente an – Uwe Schmidt zieht vielmehr ganz nüchtern Kraftwerk-Stücke als Grundlage für neue Arrangements heran, die unter völlig neuen Vorzeichen stehen. Als Señor Coconut hat er eine ganze Platte mit Kraftwerk-Coverversionen eingespielt, auf der sämtliche Überarbeitungen als Latin-Nummern dahertänzeln.

Erklärtermaßen sieht sich Uwe Schmidt in seinem Verständnis von elektronischer Musik in keinster Weise durch den deutschen Robo-Funk beeinflusst. Seine Versionen von „Autobahn“, „Trans Europe Express“, „The Robots“ und anderen Kraftwerk-Klassikern kommen als Cha-Chas, Merengues oder Salsas daher. Mit diesem Schritt – und in der Art und Weise, wie er ihn tut – befreit er Kraftwerk von all ihrem Pathos, und nimmt ihnen ihre so typische Anmutung von Deutschheit. Und das, ohne dabei in Klamauk zu verfallen; stets nimmt er das Grundprinzip von Kraftwerk – Maschine ersetzt Mensch – ernst. Auch wenn es manchmal so klingt, als hätte sich eine peruanische Fußgängerzonen-Combo zu Tolldreistem hinreißen lassen: Alle Percussionsounds und Rhythmen sind ausschließlich mit dem Sampler programmiert worden. Eine Fleißarbeit, die Kraftwerk ironisch umspielt und in deren Musik doch ganz ungeahnte Möglichkeitshorizonte entdeckt.

Auch die Hamburger Country-Rock-Band Fink hat zuletzt mit einer countryesken Bearbeitung von „Autobahn“ versucht, dem Stück das tonnenschwere Gewicht von Technikmythos und Teutonentum zu entziehen. Doch Kraftwerk mit den eigenen Mitteln zu entschlacken, das gelang erst jetzt Señor Coconut.

ANDREAS HARTMANN

Señor Coconut Y Su Conjunto: „El Baile Alemán“ (Multicolor/ EFA)

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