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Keine Ruhe im Stillen Ozean

Die Geiselnahme auf den Fidschi-Inseln soll heute beendet werden. Die ethnische Begründung des Putsches kann nicht verdecken, dass sich der eigentliche Konflikt unter den Ureinwohnern abspieltvon BRIJ V. LAL

Die Geiselnahme in Fidschi und der Staatsstreich auf den Salomonen haben die Welt, die sich den Pazifik als friedlichen Palmenstrand erträumte, aufhorchen lassen. Nur hat diese Welt bereits den Aufstand der Papeete gegen die Franzosen Anfang der Neunzigerjahre vergessen, genauso wie den Aufstand in Vanatu in den Achtzigern, die Ermordung eines Politikers auf Samoa im letzten Jahr, den stillen Kampf um Demokratie auf Tonga, den Ausbruch der Gewalt in Neu Kaledonien in den vergangenen zehn Jahren, den andauernden Konflikt auf Bougainville, der hunderte Menschenleben kostete, und nicht zuletzt die Sandline Söldner-Affäre in Papua Neuguinea.

Mehr als alles andere macht die Fidschi-Krise die Spannungen unter den heutigen Ureinwohnern der Inseln deutlich. Von Fidschis 800.000 Einwohnern sind derzeit 51 Prozent Ureinwohner und 43 Prozent indischer Herkunft. Der Konflikt der Ureinwohner mit den Indern, die einst von der britischen Kolonialmacht auf die Inseln geholt wurden, ist nicht die Ursache für die gegenwärtige Krise, er ist vielmehr Symptom der Spaltung der Ureinwohnergesellschaft.

Auch diese Spaltung geht auf die britische Kolonialzeit zurück. Schon als die Fidschis 1874 in einem Vertrag der britischen Krone überschrieben wurden, geschah dies aus machtpolitischem Kalkül. Einige Häuptlinge erhofften sich durch die Nähe zur Kolonialmacht, andere Dorfverbände unter ihren Einfluss zu bringen. De facto aber übernahmen sie selbst die wirtschaftlichen und sozialen Ideen der Kolonialmacht. Nicht zufällig war der erste Generalgouverneur nach Fidschis Unabhängigkeit 1970 ein direkter Nachfahre des Mannes, der 1874 die Inseln den Briten überantwortete. Der größte Teil der Gesellschaft aber blieb auf traditionelle Weise organisiert. Zentrum der traditionellen Gesellschaft Fidschis ist das Dorf. Seine Bewohner sind einander durch zahlreiche Vorschriften und Tabus verpflichtet, die die Bildung von Privatvermögen, wie für koloniales und auch indisches Wirtschaften typisch, weitgehend ausschlossen. Auch politisch blieb dieser Teil der Gesellschaft eigenständig.

Diese Kluft innerhalb der Ureinwohnergesellschaft wurde erst zum politischen Problem, als Großbritannien die Inseln in die Unabhängigkeit entließ. Inder und Europäer hatten sich der wirtschaftlichen Reichtümer der Inseln beinahe vollständig bemächtigt, die politische und militärische Macht befand sich in den Händen der dem Westen angepassten Elite der Ureinwohner. Diese Elite versuchte zwar, die bisher geschützte Ureinwohnerschaft in die neue Welt zu integrieren. Zahlreiche Fördermaßnahmen verschlangen Unsummen, erzielten aber kaum Erfolg.

Zu Beginn der Siebzigerjahre geriet die Ureinwohnerschaft in die Minderheit. 1987 wurde erstmals eine Regierung gebildet, die mehrheitlich von der indischstämmigen Bevölkerung gewählt worden war. Aber kaum war sie im Amt, bemächtigte sich das Militär – auch heute noch eine rein fidschianische Institution – unter General Sitiveni Rabuka der Herrschaft des Landes. Er richtete eine Interimsregierung ein, die den Fidschis 1990 eine neue Verfassung gab. Sie sicherte den Ureinwohnern die absolute Mehrheit, 37 der 70 Sitze im Parlament. Die Ämter von Premier, Präsident und Armeechef konnten nur von Ureinwohnern besetzt werden. Rabuka amtierte seither als Premier.

Doch die Klammer des Nationalismus konnte die Widersprüche innerhalb der Ureinwohnergesellschaft nur kurzzeitig überdecken. Um an der Macht zu bleiben, musste Rabuka sich 1996 Koalitionspartner außerhalb der Ureinwohnerschaft suchen, die ihn zur Revision der Verfassung von 1990 drängten. Die neue Verfassung von 1997 räumte mit den rassistischen Bestimmungen der alten auf. Viele Ureinwohner wählten 1999 bei den ersten Wahlen nach Erlass der korrigierten Verfassung die Labour-Party, obwohl deren Basis zum Großteil aus Indern besteht. Die Dorfgemeinschaften, die an ihrer alten Kultur festhielten, gründeten dagegen eigene Parteien.

Sechs nationalistische fidschianische Parteien stellten sich 1999 zur Wahl. Regierungschef aber wurde erstmals ein indischstämmiger Premier. Es schien, als löse sich Fidschi von den Schatten seiner Vergangenheit. Doch der Putsch des bankrotten Geschäftsmanns George Speight am 19. Mai dieses Jahres, der den inzwischen abgesetzten Premier Mahendra Chaudhry und 31 Politiker im Parlament als Geiseln festsetzte, vereitelte dieses Vorhaben.

Ein weiterer Beleg für den Konflikt innerhalb der Ureinwohnergesellschaft war der von den Geiselnehmern erzwungene Rücktritt des Präsidenten Ratu Sir Kamisese Mara. Als Vorsitzender des „Großen Rates der Häuptlinge“, der von den Briten eingerichtet worden war, um den Dorfgemeinschaften eine institutionelle Verfassung zu geben, hatte Mara es verstanden, durch geschickte Politik und Familienbeziehungen den Großteil der Interessenvertreter der Ureinwohnergesellschaft hinter sich zu einen. Mit seinem Rücktritt ging dem Rat eine integrative Kraft verloren. Eine weitere politische Zersplitterung der Ureinwohnerschaft war die Folge. Mitte Juni beschlossen die Eingeborenenchefs der fünf reichsten Provinzen Fidschis, sich als eigene Föderation zu verfassen, um unabhängig von Speights Einfluss Politik zu machen.

Fidschis Militär, das ebenso wie die Polizei zwischen dem Eid auf die Verfassung und der Loyalität zu einzelnen Gruppen der Ureinwohnergesellschaft hin- und hergerissen ist, hat sich mehrheitlich dem Putschisten Speight angeschlossen. Und der „Große Rat der Häuptlinge“ will heute einen Präsidenten wählen, der dann – unter Einschluss Speights – eine neue Regierung zusammenstellen soll. Für Fidschi ein Rückschritt in die Vergangenheit.

Die Forderung der Putschisten lautete: Fidschi den Fidschianern. Aber genau das sah die Verfassung von 1990 vor, die bekanntlich gescheitert ist. Eines ist klar: Eine wie immer legitimierte politische Herrschaft, die rassistische Diskriminierung einschließt, wird von der internationalen Gemeinschaft nicht akzeptiert werden. Fidschi droht damit erneut zu einem international verachteten Pariah-Staat zu werden. Ein wichtiger Grund für die entschiedene Opposition im pazifischen Raum gegen die putschistischen Machenschaften à la Speight ist die begründete Befürchtung, dass sich ähnliche Katastrophen in anderen Staaten der Region wiederholen.

Der Optimismus, mit dem der Pazifik die erste Sonne des neuen Jahrtausends begrüßte, ist verflogen. Mehr als zuvor drängt sich die Frage auf, wie dort ein demokratisches Leben funktionieren kann. Demokratie bedarf einer Gesellschaft, die sie trägt. Doch sind Gesellschaften derart im Konflikt mit sich selbst, wie in den meisten pazifischen Staaten, wird der Stille Ozean auch in Zukunft keine Ruhe geben.

Übersetzung und deutscheBearbeitung: Martin Both

Hinweise:Der Konflikt zwischen Ureinwohnern und Indern ist nicht die Ursache für die gegenwärtige KriseMilitär und Polizei auf Fidschi haben sich mehrheitlich dem Putschisten Speight angeschlossen

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