: Potenzprotzerei
■ Nicht immer feierlich, aber musikalisch überzeugend: Beenie Man im Modernes
Dance-Hall-Reggae: einige Erklärungsversuche. Die Geschichte des Reggae ist eine unüberschaubare, widersprüchliche, hat viel zu tun mit afrokaribischer Identitätsbildung auf dem Boden rastafasrischen Spiritualismus'. Dance-Hall verschwand während der 80er von der internationalen Bühne. Und als er wieder auftauchte, waren religiös-sozialkritische Anliegen weitgehend durch das, vorsichtig gesprochen: unkritische „voicing the harsh realities of jungleness“ der Toaster ersetzt worden. Übrig bleiben das unpolitische Repetieren göttlicher Liebe und 'oneness', sowie der Griff in den Schritt. Keine Ahnung, wie oft das an diesen Abend passierte. Bei dreißig habe ich aufgehört zu zählen.
Dargebracht wurde der Dancehall-Reggae im Modernes von der Beenie Man Posse. Straight from Jamaika. Keine Dance-Hall, das Modernes; aber immerhin laut, eng, stickig. Jedoch: Die Musik rückt einiges zurecht. Rüttelt und schüttelt die BesucherInnen, bis eine tanzende Menge übrigbleibt. Der Uptempo-Beat von Bass und Drums – kick in the face! Und Gesänge, die man sonst eher aus dem Fußballstadion kennt. Nana na nana – Partytime.
Snaggapuss, der erste Vorturner, legt einen kurzen, hiphoplastigen Set hin. Ein Mad Man alter Schule, der grinst und kichert und gleich im zweiten Stück erklärt, dass „man to man is wrong, woman to woman is torture“. Ach, so ist das also. Alles ganz einfach, hat schon der 'Creator' gesagt, als er Männlein und Weiblein schuf. Heterosexuelle Potenzprotzerei ist integraler Bestandteil des Dance-Hall-Styles. Aber wir sind schließlich nicht zum Diskutieren hier. Der Beat reißt einen sowieso beharrlich aus allerlei Überlegungen. Snaggapuss (den Namen sollte man aus Gründen des Selbstschutzes besser mal nicht übersetzen ...) freut sich.
Bevor der Meister selbst dann die Bühne betritt, kommt noch Silvercat. Ein Gangsta-Toaster vor dem Herrn. Eine ungeheure Stimme, mit der er das Publikum anheizt. Anstelle der obligatorischen Schusswaffen – ja, so geht das zu da unten – verlangt er nach Feuerzeugen. Wirkt irgendwie richtig süß, der Kerl mit seinen Fantasien über M-16s und andere Gimmicks zur Hervorbringung von Spaß.
Dann kommt Beenie Man himself. Und seine überzeugende Performance bläst das ideologiekritische Nachdenken übers Verhältnis von Form und Inhalt weg. Er beschließt die zweieinhalb Stunden. Die Musik ist straight, wie Ska, kraftvoll. Und beseelt vom zugleich ehrfürchtigen wie parodistischen Rückgriff auf Bob Marley. Er singt atemberaubend gut, zugleich aber ist der Subtext von Angriffen auf schwule Lebensformen (AIDS!!!) geprägt.
Das ist die Kehrseite der Sexualisierung männlicher schwarzer Körper, wie viele Toaster sie selbstverständlich abspulen. Beenie Man selbst hält sich aus den Rastagrabenkämpfen raus. Ist trotzdem hochgradig politisch inkorrekt. Und spielt zu guter Letzt ein Konzert, das richtig rockt.
Kurz nach 23 Uhr verlässt man den Ort des Geschehens und steht ziemlich dumm da, derweil der Groove im Körper nachhallt. Aber, mal im Ernst: Wer hört sich die Matthäus-Passion aus einem exorbitanten Glaubensinteresse an. Es ist halt gute Musik. Die spielt die Beenie Man Posse auch. Und wenn man den Rest mitdenkt, geht es, wenn auch zähneknirschend, klar, dass man selber mittwippt.
Tim Schomacker
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