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Bertolts Apotheke

„Von der Freundlichkeit der Welt“: George Tabori hat auf der Probebühne des BE einen Brecht-Abend eingerichtet

George Tabori sitzt auf einem Thron mit samtig roten Ohren. Im Publikum, in der ersten Reihe, Mitte. Später, im langen, enthusiastischen Beifall, schaut er wie ein würdevoller Hippie aus. Der große alte Theatermann ist Legende und auch für solche zuständig: Die erste Spielzeit des Berliner Ensembles unter der Intendanz Peymanns hat Tabori mit Brecht eröffnet und geschlossen.

Nach der „Brecht-Akte“ im Januar erzählt er nun mit den Worten Brechts (und seiner Freundinnen) „Von der Freundlichkeit der Welt“, – einer Freundlichkeit, die man freilich aus Elend, Gewalt und Verbrechen erst mühsam herauspopeln muss. Es ist ein Gedichte-, Sing- und Aufsageabend geworden und eine der wenigen Konzessionen an den Gatten Helene Weigels, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Haus am Schiffbauerdamm neu begründete.

Brecht erinnern – ja gerne, denn es ist tatsächlich ein freundlicher, geschmackvoll überraschungsarmer Abend, an dem Evergreens wie das Lied vom Surabaya-Johnny, die Geschichten vom Herrn Keuner oder der Schmalspur-enigmatische Radwechsel aus den Buckower Elegien den Vorrang haben. Umso schauerlicher klingt dann die Ballade vom kleinen Jakob Apfelböck, der seine Eltern ermordete und im Wäscheschrank verfaulen ließ, besonders, wenn Carmen-Maja Antoni die Verse erst süß kiekst und flötet, dann hysterisch brüllt, dass es einem Gänsehäute über den Rücken jagt. Und ausgesprochen komisch die abgenudelte Moritat von Mackie Messer, die Jürgen Holtz nach den vielen, von Krista Birkner, Roman S. Pauls und Uwe Preuß mit Gefühl und Verstand rezitierten Texten hastig herunterhaspelt, wobei nach jeder Strophe ein wunderbar debiles Grinsen über sein Gesicht streicht.

Zwischendurch werden im weißen Raum ein paar Stühle verschoben, damit die Vortragenden sich umsetzen können und die ganze Sache sozusagen auch auf der Inszenierungsebene in Bewegung bleibt. Dafür lauschen die Zuschauer ganz konzentriert und aufmerksam. Dreht man leise knisternd ein Bonbon aus dem Papier, fliegen tadelnd drei Köpfe herum. Die Best-of-Brechts – hier einigermaßen willkürlich unter die Schlagworte Leben, Krieg, Theater geordnet – kann man nämlich, wie Tabori einst behauptete, hausapothekenartig „gegen Steckenbleiben beim Schreiben, Verzweiflung des Exils, gegen Lügner, Zensoren, Inquisitoren, Verräter, Pedanten, schwierige Frauen, frühreife Kinder“ konsumieren. Fast wie die Bibel!

Eigentlich schade, dass der letzte „Abend mit Brecht“ so schnell in Vergessenheit geraten ist. Noch am alten, längst leer laufenden BE experimentierten vor zwei Jahren Nino Sandow und Thomas Martius spielerisch mit Balladen und Songs des reifen, aber auch Tagebuchtexten des pubertierenden Bertolt. Sie zeigten, dass die Nachgeborenen vom armen B.B. selbst dann etwas erfahren können, wenn er erstmal vom Sockel heruntergeholt wurde. EVA BEHRENDT

Die nächsten Aufführungen am 17.–19. Juli, jeweils 20 Uhr, Probebühne Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 101

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