: „Jeder ist ein Stein in einem Mosaik“
Ausländer in Berlin: Die 15.000 Afrikaner in der Stadt werden von den Deutschen meist als Flüchtlinge wahrgenommen. Doch viele von ihnen kommen zum Studium an die Spree, andere leben als Schauspieler oder Hochschullehrer schon seit Jahren hier. Und alle klagen über die deutsche Bürokratie
von JEANETTE GODDAR
Es gibt viele Fragen, die man Yawa Zena Valentin stellen könnte. Die nach ihrem Lieblingsgericht zum Beispiel: „Ayimoulou“, würde sie dann antworten; eine Mischung aus Reis mit roten Bohnen, angebratenen Zwiebeln, Öl und Chilipulver. „Als Kind“ seufzt sie, „hätte ich dafür sterben können, wenn die muslimischen Frauen bei uns vorbeikamen und es verkauft haben.“ Man könnte sie auch fragen, wann sie das erste Mal in ihrem Leben ernsthafte Depressionen hatte: „Als ich die erste Woche in der Nähe von Mainz an einem Sprachkurs teilgenommen hatte und feststellen musste, dass die Leute nicht mal sonntags auf die Straße gehen. Die ganze Woche hatte ich aus dem Fenster geguckt und gedacht: Es muss doch einen Tag geben, an dem all die Leute vor die Tür gehen und miteinander quatschen.“ Gab es aber nicht. Oder man könnte sie fragen, was sie an ihren deutschen Kommilitonen am wenigsten versteht: „Ich würde mich nie in die Sonne legen!“
Was man sie nicht fragen kann, ist, wie alt sie ist. „So etwas fragt man bei uns nicht.“
Was die junge Frau aus Westafrika normalerweise in Berlin gefragt wird, und zwar „immer, immer, immer“ ist allerdings etwas ganz anderes. Und zwar fast immer in der selben Reihenfolge: „Woher kommen Sie? Wieso sprechen Sie so gut Deutsch? Wann gehen Sie wieder nach Hause?“ Manchmal, erzählt sie, macht sie sich einen Spaß daraus zu sagen, dass sie gar nicht wieder geht. Dann kommt der nächste Einsatz: „Aber Sie müssen nach Hause gehen. Sie haben doch studiert! Man braucht sie dort!“
Alle die an diesem Samstagnachmittag in den Räumen des Astas der Technischen Universität (TU) sitzen, haben in Deutschland ähnliche Erfahrungen mit ihrer Hautfarbe gemacht. Mal offen rassistische, mal einfach nur unsensible, oft vielleicht sogar unbewusste: „Wenn ich Pech habe, sitzt von der Turmstraße bis nach Zehlendorf im Bus jemand neben mir und starrt mich an“, sagt eine. Ein anderer hat einen Tipp: „Sobald man zurückguckt, gucken die weg.“
Dennoch ist die Stimmung bestens. Auf dem Tisch stehen Reis mit Bohnen, Hähnchenschenkel, Tomaten mit Mozzarella, frittierte Bananen, Sekt und Apfelsaft. Zehn Menschen sitzen im Raum; die meisten stammen aus Togo und der Elfenbeinküste, aber auch eine Jamaicanerin ist dabei. Gemeinsam bilden sie das Berliner Afrika-Ensemble (BAE), das der togoische Regisseur Kouassi Goumegou zusammengetrommelt hat.
Goumegou, der in Lyon Germanistik und in Berlin Theaterwissenschaft studiert hat, suchte gezielt nicht nur nach Schauspielern aus Togo oder Westafrika: „Durch die Kolonialherrschaft ist Afrika ohnehin schon so zerstückelt“, sagt er. „Aber heute leben wir im Zeitalter der Globalisierung. Für mich und viele andere hier in Berlin ist es wichtig, Afrika als Einheit zu sehen. Jeder von uns stellt einen Stein in einem Mosaik dar.“
Die Schauspieler, von denen die meisten als Studenten nach Berlin gekommen sind, stammen aus Angola, Togo, Elfenbeinküste, Nigeria, Kamerun, Ghana, Jamaica und Brasilien. Der Autor des Stücks „Unter Vorbehalt“ ist Kenianer, heißt Kuldip Sondhi und war wohl bisher in Deutschland gänzlich unbekannt.
„Damit geht es ja schon los“, lacht Goumegou nicht ganz ohne ernsten Unterton, „viele Deutsche wissen noch nicht einmal, dass es afrikanisches Theater gibt.“ Dabei hat einer der Schauspieler vom BAE, Koutoglo Atiye, schon in seiner togolesischen Heimatstadt Anecho Theater gespielt: „Jedes Jahr gab es Wettbewerbe zwischen den Gymnasien in unserer Stadt“, erzählt er, „so habe ich schon auf der Schule angefangen Theater zu spielen.“
Die Stücke handelten von Rassismus oder Korruption, aber auch von der Würde der Menschen und dem Wunsch nach einem freien Leben. Und so lässt sich auch der Plot von „Unter Vorbehalt“ leicht auf deutsche Verhältnisse übertragen: Eine indischstämmige Familie in Kenia bekommt Post von ihrem reichen Onkel aus den USA, der eine immense Summe Geld bietet für den Fall, dass der dreißigjährige Sohn endlich heirate und einen Erben zeuge. In ihrer Vorstellung bauen die Eltern schon die schönsten Luftschlösser an die ostafrikanische Küste. Wenig später der Schock: der Sohn will eine schwarze Afrikanerin heiraten. „Rassismus ist ein weltweites Problem“, sagt Goumegou, „unter Afrikanern werden Sie den genauso finden wie in Deutschland.“ Dennoch erzählen fast alle hier mit einem Grinsen, das sie sich kaum verkneifen können, wie weit der Weg an eine deutsche Universität war.
Bei Koutoglo Atiye fing alles damit an, dass er woanders hinwollte als nach Frankreich oder Belgien, wohin die Beziehungen von Togo seit der Kolonialzeit vielleicht nicht unbedingt gut, aber zumindest eng sind. Noch bevor er sich als angehender Wirtschaftsingeneur bei einer deutschen Universität bewarb, lernte er Deutsch, „das muss man, um sich überhaupt bewerben zu können“. Anschließend schrieb er Briefe an mehrere deutsche Universitäten; eine Antwort kam unter anderem von der TU. Als die ihm einen Studienplatz anboten, ging der Kampf um ein Visum los. Das Goethe-Institut finanzierte ihm zum Auftakt einen achtwöchigen Sprachkurs in Iserlohn. Danach musste er für ein halbes Jahr bis zum Studienbeginn wieder nach Togo – ohne Studienplatz kein Aufenthaltsrecht.
Viele der in Berlin lebenden Afrikaner haben sich längst mit der deutschen Bürokratie arrangiert. Ein großer Teil kommt zum Studium nach Deutschland, andere haben es trotz der Widrigkeiten des deutschen Ausländerrechts vollbracht, sich hier dauerhaft niederzulassen oder sind längst Deutsche geworden.
Am Problematischsten ist das Leben für die Asylbewerber: Zwar sind auch die Zahlen derer, die überhaupt noch versuchen, einen Asylantrag zu stellen, seit dem so genannten Asylkompromiss drastisch gesunken; dennoch versuchen es noch einige, vor allem um so krisengeschüttelten Ländern wie Sierra Leone, Togo oder Somalia zu entgehen. „Hier plausible Asylgründe geltend zu machen, ist ungeheuer schwer“, sagt Katharina Vogt von der zentralen Beratungsstelle für Flüchtlinge, „in der Regel werden die Anträge abgelehnt, weil die Leute schlicht als Bürkerkriegsflüchtlinge gelten“.
Dass die Gemeinden der Herkunftsländer sich auch um die Flüchtlinge aus ihrer Heimat kümmern, ist nicht selbstverständlich. „Es gab so viel Krach in der Vergangenheit“, sagt ein Sudanese, „wir wollten aber keinen Krach.“ So habe man sich in seiner sudanesischen Vereinigung dazu durchgerungen, jede politische Aktivität zu verbannen: „Wir haben alle verschiedene Meinungen und das ist gut so.“ Wenn man sich einmal im Monat treffe, würden zum Beispiel sudanesische Schriftsteller eingeladen oder es würden Feste vorbereitet. Von den etwa 400 Sudanesen, die in Berlin lebten, träfen sich auf diese Art und Weise immerhin etwa 70 regelmäßig. Auch Asylbewerber seien willkommen: „Aber wir behandeln jeden als Individuum“.
Auch Gabi Lehmann-Jamoha, Afrika-Expertin bei amnesty international, konstatiert, dass die Solidarität zuweilen zu wünschen übrig lasse. „Vielleicht befürchten einige, dass es ihren eigenen Status hier beeinflussen könne“, sagt Lehmann-Jamoha, „dass Communities mit Flüchtlingen nichts zu tun haben wollen, ist keine Seltenheit“.
In den politisch aktiveren Gemeinden wie unter den Oromo aus Äthiopien, die auch aus Berlin versuchen, für die Rechte ihres Volkes in der Heimat zu kämpfen, werden Flüchtlinge wohlwollend aufgenommen. „Für uns ist das eine Selbstverständlichkeit“, sagt Taye Teferra vom „Oromo Horn-von-Afrika-Zentrum“, „wir sind alle Oromo und wir möchten alle eines Tages nach Äthiopien reisen können, ohne dort verfolgt zu werden“.
Auch dass es unter den wenigen Menschen aus Sierra Leone, die sich bis nach Berlin durchgeschlagen haben, eine enorme Solidarität gibt, kann kaum verwundern. Es ist Freitagabend, etwa 30 Sierra-Leoner sitzen im Leone Haus in Wedding an Tischen mit Plastikdeckchen. Im Fernsehen läuft BBC World, im Hinterzimmer spielen zwei Jungen Fußball, an der Tafel stehen die Matheaufgaben vom Nachhilfeunterricht am Nachmittag. In der Küche herrscht geschäftiges Treiben: Die zwei einzigen Frauen bereiten das Essen für morgen vor. Auf dem Programm der Sierra Leone Community: ein Neuköllner Straßenfest; samt Essensverkauf und Trommelvorführungen.
Die Sierra Leone Community Berlin-Brandenburg, deren Zielgruppe in beiden Ländern zusammen nicht mehr als 400 Menschen beträgt, hat einen Vorsitzenden, einen Generalsekretär, einen Stellvertreter und einen sozialpolitischen Sprecher. Gemeinsam sitzt man am Tisch. „Wir sind in Deutschland, also sprechen wir Deutsch“, sagt der Vorsitzende Bai Kamara, der seit über 20 Jahren in Berlin lebt.
Nur einem am Tisch, dem Lehrer Adams Abu, der in London und Paris studierte, fällt das sichtlich schwer. Acht Jahre lang arbeitete er nach seinem Studium in der sierra-leonischen Hauptstadt Freetown; so lange, bis der Krieg vor seiner Haustür für ihn unerträglich wurde. Seine Tochter rettete sich in die USA. Adams Abu stieg in das Flugzeug: „In irgendein Flugzeug, egal wohin, nur raus.“ Er landete in Berlin.
Das war 1992. Seitdem bekommt er hier zwar kein Asyl, kann aber auch nicht in das Kriegsgebiet abgeschoben werden. Er darf hier leben, aber nicht arbeiten, auch weiterbilden kann er sich nicht. Seine Deutschkenntnisse sind mäßig. „An der psychologischen Belastung, nicht arbeiten zu dürfen, kann man zu Grunde gehen“, sagt er.
In der Sierra Leone Community ist Konsens, dass der Ansatz, am deutschen Leben teilzuhaben, ein vielfacher sein muss: nämlich den Krieg in der Heimat der deutschen Öffentlichkeit und vor allem der Politik transparent zu machen, für Toleranz gegenüber Afrikanern und besonders Sierra-Leonern zu werben und ihre eigene Kultur aufrechtzuerhalten. „Wir nehmen schon viel Rücksicht auf deutsche Sitten“, sagt Kamara, „aber es gibt Grenzen: Wir müssen auch unsere eigene Identität und unsere eigenen Gebräuche retten.“ Auch wenn das dazu führt, dass bei jeder Versammlung von mehr als 50 Sierra-Leonern Nachbarn die Polizei rufen – zu laut, lautet die stereotype Beschwerde.
Es gibt aber auch den anderen Fall: dass Deutsche die Tür öffnen und Interesse bekunden, wissen wollen, was in dem Land, das im Mai wochenlang fast täglich Schlagzeilen machte, als die UNO-Mission dort kläglich zu scheitern drohte, eigentlich los ist. „Insgesamt“, sagt Kamara, „haben wir mit der deutschen Öffentlichkeit oft weniger Probleme als mit der Politik.“
Dass Afrikaner und nicht Deutsche in Deutschland über Afrika sprechen, ist wiederum eine absolute Seltenheit. So ist auch Kuma N’dumbe, aus Kamerun stammender Professor mit dem Schwerpunkt „Entwicklungseffizienz“ bei den Politikwissenschaftlern an der Freien Universität (FU), eine Rarität in der Berliner Universitätslandschaft. „Wenn ein Deutscher ein paar Wochen in irgendeinem afrikanischen Land war, gilt er gleich als Experte für den ganzen Kontinent“, konstatiert N’dumbe, „dass aber auch Afrikaner Professoren sein können, hat sich offenbar noch nicht bis Berlin herumgesprochen. So aber wird ständig das Klischee perpetuiert, ganz Afrika bestünde nur aus Überschwemmungen, Aids und Elend.“
Auch seine eigene Stelle firmiert zurzeit noch als verlängerte Gastprofessur. Dabei wurde N’dumbe 1992 geradezu aus Kamerun abgeworben, um die Vertretung für den Lehrstuhl „Politik Afrikas“ an der FU zu übernehmen. Zwei Jahre später wurde der einzige Berliner Lehrstuhl für afrikanische Politik allerdings, wie es im Universitätsdeutsch heißt, „umgewidmet“: In einen Lehrstuhl für Westeuropa.
„Unter Vorbehalt“ vom Berliner Afrika-Ensemble ist am morgigen Samstag um 19 Uhr in der StudioBühneMitte, Sophienstr. 22a, Berlin-Mitte zu sehen
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