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Embryozellen-Importe: Ganz legal

Während Politik und Gesellschaft noch heftig darum streiten, ob Embryonen für die Stammzellenforschung verbraucht werden dürfen, schaffen Wissenschaftler in Großbritannien und bald auch in Deutschland mit Importen aus den USA Fakten

von INGRID SCHNEIDER

Der Kurier vom Federal Express überbrachte Peter Andrews von der britischen Sheffield Universität ein harmlos aussehendes Päckchen: Darin, in Trockeneis verpackt, lagen Zellen von Embryonen, geschickt aus Madison in den USA. Die Lieferung auf Andrews Bestellung, die nun durch BBC bekannt wurde, birgt ethischen Sprengstoff.

Kritiker des Zellenimports werfen den Forschern vor, ein rechtliches Schlupfloch genutzt zu haben, damit das Parlament unter Druck zu setzen und einer Entscheidung vorzugreifen. Denn bisher hat die britische Regierung noch nicht erlaubt, dass Embryonen, die bei der Retortenbefruchtung (IVF) „anfallen“, für die Stammzellenforschung verwendet werden dürfen. Andrews, ein Krebsforscher, verteidigt sein Vorgehen: „Es ist scheinheilig, dass man Stammzellen rechtmäßig in dieses Land bringen darf, die von menschlichen Embryonen anderswo gewonnen wurden. Aber herstellen darf man sie hier in Großbritannien nicht.“ Die britische Regierung hatte ein einjähriges Moratorium verhängt, nachdem im November 1998 Forscher aus den USA verkündeten, es sei ihnen erstmals gelungen, embryonale Stammzellen zu kultivieren. Eine Beratergruppe empfahl, solche Forschungen mit „überzähligen“ Embryonen zuzulassen, nicht aber Embryonen extra für diesen Zweck herzustellen. Die Minister setzten daraufhin eine zweite Kommission ein, deren Empfehlung bisher nicht veröffentlicht wurde. Britische Forscher verweisen nun darauf, dass man schließlich auch in Deutschland vorhabe, embryonale Stammzellen aus den USA zu importieren.

Tatsächlich will die aus Steuermitteln finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ab 2001 mit mehreren Millionen Mark ein 25 bis 30 Projekte umfassendes Stammzellen-Programm finanzieren. Dabei ist geplant, ein Projekt zu fördern, in dem mit aus den USA importierten embryonalen Stammzellen gearbeitet wird. Die Potenziale dieser Zellen sollen mit denen von embryonalen Stammzellen, die bei Schwangerschaftsabbrüchen gewonnen wurden und mit so genannten adulten Stammzellen aus dem Körpergewebe von Erwachsenen verglichen werden.

Die nach Sheffield exportierten Stammzellen stammen aus einem Labor der Universität Wisconsin. Der Zellforscher James Thomson hatte 1998 aus 27 wenige Tage alten Embryonen, die Paare nach einer IVF „gespendet“ hatten, fünf embryonale Stammzellen-Linien kultivieren können. Diese werden auf einer Nährlösung aus Mäuse-Embryozellen konserviert und vermehrt. Ihr Zustand wird von Biologen als „unsterblich“ und „pluripotent“ bezeichnet, weil die Zellen sich noch in jede der 270 Zellentypen des menschlichen Körpers entwickeln können. Man hofft, daraus Nervenzellen für Parkinsonkranke, Herzmuskelzellen für Infarktpatienten und Insulin produzierende Zellen für Diabetiker entwickeln zu können. Ob sich die hoch gesteckten Erwartungen aber jemals erfüllen lassen, steht in den Sternen. Denn bisher ist unklar, wie sich die Stammzellen zielgerichtet steuern und in den gewünschten Zelltyp verwandeln lassen. Zudem besteht die Gefahr, dass die verpflanzten Zellen aus der Art schlagen und beim Empfänger einen Tumor hervorrufen können. Der schwedische Hirnforscher Anders Björklund warnt deshalb seine Kollegen eindringlich, „nicht zu früh zu viel zu versprechen“.

Die Warf, eine Stiftung an der Universität Wisconsin, hat Thomsons embryonale Zelllinien patentieren lassen. Exklusivlizenzen zur gewerblichen Nutzung dieser Stammzellen vergab sie an die kalifornische Firma Geron, die Thomsons Forschungen maßgeblich finanziert hat. Mittlerweile hat die Warf das WiCell-Forschungsinstitut gegründet, das die embryonalen Stammzellen an Forscher auf der ganzen Welt verteilen will. Wer die Zellen gegen mindestens 5.000 Dollar Gebühr kauft, muss unterschreiben, damit keine Experimente zum Menschenklonen zu machen und sie nicht mit Embryonen zu verschmelzen. Doch gilt die Nutzungserlaubnis nur für die Grundlagenforschung. Sollte es einem Forscher gelingen, aus den Zellen eine diagnostische oder therapeutische Anwendung zu schaffen, die er kommerziell verwerten will, muss er die Erlaubnis der Patenthalter dazu einholen, die hohe Lizenzgebühren dafür festsetzen, ihm aber auch die gewerbliche Anwendung gänzlich verwehren können. Konflikte sind durch den Exklusivvertrag mit Geron vorprogrammiert.

Aus diesem Grund drängt die Scientific Community in vielen Ländern darauf, selbst Zugang zu den begehrten Embryonen zu erlangen. Wenn Wissenschaftler ihre eigene, wesentlich andere Methode zur Stammzellen-Herstellung entwickeln könnten, wären sie freier im Gebrauch der Zellen und könnten gar eigene Patente anmelden. Doch dazu wäre es nötig, Embryonen für die Forschung verbrauchen zu können. Das deutsche Embryonenschutzgesetz legt aber fest, dass Embryonen nur für eine Schwangerschaft erzeugt und verwendet werden dürfen. Die Herstellung solcher Stammzellen ist strafrechtlich verboten. Doch mehren sich die Stimmen, die eine Lockerung fordern. Denn sonst, so die Behauptung, werde der Forschungsstandort Deutschland abgehängt. Es sei heuchlerisch, hier „saubere Hände“ bewahren zu wollen und die „schmutzige Forschung“ mit Embryonen als Material im Ausland machen zu lassen. Später werde man ohnehin die daraus gewonnenen Therapien nutzen.

Dagegen hat der stellvertretende Vorsitzende der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ Hubert Hüppe (CDU), der DFG vorgeworfen, durch ihre Import-Entscheidung die politische Willensbildung zu präjudizieren. Zwar ist der Import nicht illegal, da Forscher nur bestraft würden, wenn sie die Herstellung solcher Stammzellen im Ausland anstifteten oder Beihilfe dazu leisteten. Doch das Embryonenschutzgesetz würde umgangen. Hüppe fordert ein Importverbot für embryonale Stammzellen.

Die DFG-Programmkoordinatorin Anna M. Wobus äußert zu Hüppes Vorwurf der Doppelmoral, „dass mit allen wie auch immer fallenden Entscheidungen das ethische Dilemma zwischen der besonderen Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos einerseits und dem berechtigten Anspruch von tausenden Patienten auf adäquate Therapien andererseits bestehen bleibt.“

Auch „Reprokult“, ein Frauenforum zur Fortpflanzungsmedizin, kritisiert den geplanten Stammzellen-Import: Verbrauchende und fremdnützige – also Dritten dienende – Forschung mit Embryonen müsste weiterhin untersagt bleiben, da Frauen und Männer sonst zu RohstofflieferantInnen für die Medizin degradiert würden.

Noch im März 1999 sah die DFG keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung. Doch weil sich das Feld rasch fortentwickle, wird inzwischen eine neue Stellungnahme erarbeitet. Laut Anna M. Wobus, die in Gatersleben mit aus Tieren gewonnenen Stammzellen arbeitet, solle man importierte embryonale Stammzellen „nur in begründeten Ausnahmefällen“ nutzen und die Option für gesetzliche Änderungen offenhalten. Erst wenn das therapeutische Potential eindeutig belegt sei, könne man über eine Herstellung von embryonalen Stammzellen aus deutschen IVF-Kliniken entscheiden, derzeit „noch nicht“.

Auch in den USA tobt der Streit um die embryonalen Stammzellen. Denn es gibt dort zwar kein Gesetz, das der Reproduktionsmedizin Grenzen zöge. Doch dürfen die staatlichen National Institutes of Health (NIH) seit 1995 keine Forschung an Embryonen finanzieren. Für die Privatwirtschaft gelten keinerlei Einschränkungen. Nach Expertenanhörungen zeichnet sich ab, dass mit Staatsgeldern zwar an embryonalen Stammzellen geforscht werden soll. Diese dürfen aber nicht mit öffentlicher, sondern nur mit privater Finanzierung hergestellt werden. Die NIH haben allerdings Richtlinien entworfen, die eingehalten werden müssen, wenn öffentliche Gelder bewilligt werden.

Darin steht, dass nur „übrig gebliebene“, tiefgefrorene Embryonen verwendet werden dürfen, um dem Paar genügend Zeit für die Entscheidung über eine „Spende“ zu lassen. Die SpenderInnen dürfen kein Geld erhalten und die Empfänger weder bestimmen noch einschränken. Sie müssen darüber aufgeklärt werden, dass die Embryozellen jahrelang aufbewahrt, für alle möglichen Forschungen verwendet und kommerziell eingesetzt werden können. Die Abgebenden müssen unterschreiben, dass sie keine Ansprüche auf spätere Gewinn- oder Nutzenbeteiligungen erheben. Da die Embryonen auf übertragbare Krankheiten und auffällige Gene überprüft werden, sollen die Zellen anonymisiert werden und die SpenderInnen keine Informationen über die Testergebnisse erhalten. Bisher sind diese Richtlinien weder verabschiedet, noch ist entschieden, ob die NIH embryonale Stammzellen-Projekte finanzieren dürfen. 70 US-Kongressabgeordnete und 7 Senatoren haben sich öffentlich dagegen ausgesprochen. Doch eines scheint bereits klar: Sollten die NIH fördern, so dürfen Thomsons Stammzellen dabei nicht verwendet werden. Denn vor zwei Jahren wurden bei der Zustimmung der SpenderInnen nicht die jetzigen Richtlinien eingehalten. Thomson oder Privatlabore müssten also neue Stammzellen aus Embryonen herstellen, was laut Thomson mindestens ein halbes Jahr dauern und die Versorgung der US-Wissenschaftler verzögern würde.

DFG und deutsches Forschungsministerium wollen also nun den Import von Thomsons embryonalen Stammzellen für ein Projekt an der Universität Bonn befürworten. Eben jenen Zellen, an denen in den USA mit öffentlichen Mitteln nicht gearbeitet werden darf, da sie ethischen Standards nicht genügen. Darüber, wann die deutsche Post ein eisgekühltes Päckchen aus Wisconsin ausliefern wird, hüllt sich die DFG in Schweigen.

Die Politologin Ingrid Schneider ist Autorin des Buchs „Föten – der neue medizinische Rohstoff“. Weitere Infos: www.dfg.de , www.reprokult.de , www.nih.gov/news/stemcell

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