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Dicke Bretter

Die Nouvelle Vague des Berliner Rock beim traditionellen Open-Air-Festival auf der Insel

Open-Air-Festivals garantieren einen gelungenen Konzertbesuch viel eher als eine schlichte Hallenveranstaltung. Wenn in der Halle das Setting nicht stimmt, die Akustik mies ist, alle anderen Besucher Deppen sind und man beim ersten Song des Abends sein Bier bestellt und es erst zur Zugabe serviert bekommt, dann kann auf der Bühne noch so ein großartiges musikalisches Feuerwerk gezündet werden: Das Konzertvergnügen ist dahin.

Steht dagegen bei einem Open-Air der untalentierteste Mischpultregisseur der Welt an den Reglern, geht man halt um die Ecke und hört den Vögeln zu. Schmeckt das Bier schal, macht das auch nichts, man hat ja extra Lambrusco in eine Cola-Wegwerfflasche abgefüllt. Und um das Publikum muss man sich auch nicht kümmern: Festivalbesuche sind vor allem Gruppenunternehmungen, man kommt niemals ohne den erweiterten Freundeskreis.

In Berlin gibt es viel zu selten gute Open-Air-Festivals. Und solche, die man als sichere Bank in Sachen Atmosphäre und Line-up bezeichnen könnte, erst recht nicht. Doch das jedes Jahr auf der Insel stattfindende Festival ist ganz bestimmt der Stimmungsgarant per se. Wunderschön liegt die Bühne im Joggerparadies Treptower Park. Platt gedrückt wie in Roskilde wird man im Normalfall auch nicht, die Steaks sind billig, und die Bands, ja die Bands sind immer Klasse.

Dieses Jahr wird „Die Nouvelle Vague des Berliner Rock“ präsentiert. „Rock“, wohl gemerkt. Nicht Pop, nicht Techno – für beides ließe sich ganz bestimmt auch eine Berliner Nouvelle Vague rekrutieren –, sondern Rock. Womit wir auch schon beim Spielverderben sind. „Rock“ lautet ja bekanntlich auch der Titel der aktuellen Platte von Surrogat. Und die sind Headliner des Festivals. Das für die, die es tatsächlich nicht wissen sollten. Lange Zeit lief diese Information unter einem Stillschweigegebot. Pssst, Surrogat . . . inoffizieller Headliner . . . niemandem weitersagen. Warum eigentlich nicht? Weil die Band sich seit neuestem in den konspirativen Klauen einer Major-Company befindet? Geht es schon los mit den Unfreiheiten? Sind Majors nicht eigentlich Scheiße? Na egal. Ansonsten alles wie gehabt. Surrogat stehen für: dickes Brett, Jeans, gesunder Größenwahn, geile Show. Rock.

Das Pferd von vorn aufgezäumt, ergibt sich des Weiteren folgendes Line-up: Die Gastband TGV aus Hamburg mit Elena Lange von Stella, Earwear, die neueste Band von Heike Raedeker (Ex-18th Dye, Ex-Wuhling und diverse andere Bands) und zwei von den Cuban Rebel Girls, die stumpf-geilen Sexo y Droga (mit Henny von den Pop Tarts), Sitcom Warriors vom allseits geliebten Fucky-Label, das niemals einer weniger sensationellen Band ein Zuhause geben würde. Dazu Paincake, das inzwischen schon legendäre, immer wieder sporadisch zusammengetrommelte All-Star-Projekt von Christopher „Krite“ Uhe, Schneider aka Schneider TM und Hanayo, der japanischen Wunderfrau. Garantiert immer gut. Und dann natürlich Mondo Fumatore, vielleicht Berlins unterbewertetste Band überhaupt, die mit ihrer letzten Platte, „Plays Rodeo“, bewiesen haben, wie witzig, vielschichtig und liebevoll intim eine Pop-, ja eine ROCK-Platte sein kann. Beatles gehen Lo-Fi-Indie, und der Billig-Synthie scheppert dazu. Da geht die Sonne auf. Wollen wir hoffen. ANDREAS HARTMANN

Am Start: Rock-Open-Air, Sonntag ab 15 Uhr, Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

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