piwik no script img

 die stimme der kritikBetr.: Gute alte Politik

Bundesrat! Live!

Wahnsinn! Waahnsinn!! Einfach Waaahnsinn!!!!

Haben Sie das gestern gesehen? Zwei Stunden Live-Übertragung von der Sitzung des Bundesrates. Live! Bundesrat!! Steuerreform!!! Ein Meilenstein der deutschen Fernsehgeschichte. Eine Sternstunde des Parlamentarismus. Ein herausragendes Kapitel sozialdemokratischer Staatskunst. Ein Tiefpunkt christdemokratischer Standfestigkeit. Ein Paradebeispiel für die Erotik von Macht und Geld. Und das alles in Bonn. Und ohne Helmut Kohl. (Herbert Wehner war auch nicht da.)

Das hätte der guten alten Politik gar keiner mehr zugetraut. Vor ein paar Wochen brillierte Schröder noch auf einer Konferenz über modernes Regieren, und jetzt dieser Rückfall: Er lockte, drohte, bestach die Länder, kaufte die Stimmen, und am Ende empfing er auch noch Kommunisten im Kanzleramt. Will Schröder DFB-Chef werden?

Noch besser als der Kanzler war Eberhard Diepgen. 40 Jahre lang hat sich keiner für den blassen Abiturienten interessiert, aber an diesem einen Tag kam es auf ihn an. Aber Diepgen sprach ganz plötzlich nicht etwa von der profanen Steuerreform, sondern baute einen kunstvollen Satz, in dem er von der „Sehnsucht der Deutschen“ sprach. Doch, doch, Diepgen sagte „Sehnsucht der Deutschen“. Es klang wie Günter Grass. Wenn Diepgen so weiter macht, bekommt er noch den Nobelpreis. Er wäre der erste Preisträger, der weiß, was ein Halbeinkünfteverfahren ist.

Noch ist nicht sicher, ob die Politik auf diesem Level weiter agieren kann. Aber Leo Kirch hat sich vorsichtshalber schon mal die Übertragungsrechte für alle Bundesratssitzungen bis 2006 gesichert. Jens König

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen