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Die UNO lässt ihre Muskeln spielen

Sierra Leones Blauhelmtruppen befreien die letzten 233 UN-Geiseln der RUF-Rebellen. Die UNO meldet „schwere Verluste“ bei den Rebellen. Sie kämpft um ihre angeschlagene Autorität in Sierra Leone, das sie bisher nicht hat stabilisieren können

von DOMINIC JOHNSON

Die UN-Mission in Sierra Leone ist wieder komplett. Ein Blauhelmkommando befreite am Samstag die letzten 233 Soldaten und Beobachter der Mission, die noch von der Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) als Geiseln gehalten worden waren. Die RUF blieb passiv, als Blauhelme aus Indien, Nigeria und Ghana zur RUF-umzingelten UN-Basis in der Stadt Kailahun vorstießen, wo die 233 Inder seit Anfang Mai festgesessen hatten. Ein britischer Kampfhubschrauber sicherte ihren Ausbruch ab. Sie sind seitdem dabei, sich durch den Urwald in das UN-kontrollierte Daru 80 Kilometer südlich von Kailahun durchzuschlagen. Nach UN-Angaben gab es allerdings „schwere Verluste“ auf Rebellenseite und zwei Verletzte bei der UNO, als RUF-Einheiten den UN-Konvoi auf dem Weg nach Daru angriffen.

„Die Anwendung von Gewalt war unvermeidbar geworden“, erklärte die UNO. „Wir konnten es uns nicht erlauben, die Friedenssoldaten weiter leiden zu lassen.“ Man habe einen Notruf der Geiseln erhalten, wonach ihnen die Lebensmittel ausgegangen waren. Sie hatten seit Anfang Mai in einem 500 mal 500 Meter großen UN-Gelände ausgeharrt – mit ihren Waffen, aber eingeschlossen. Die UN-Erfolgsmeldung relativiert diese „Gefangenschaft“ allerdings mit der Angabe, zuletzt hätten „schwere Regenfälle“ die Bewegungsfreiheit der Geiseln eingeschränkt.

Es ist die bisher größte Offensivaktion der UN-Mission Unamsil seit ihrer Entsendung nach Sierra Leone im Herbst 1999. Anfang Mai hatte die RUF, die ein vor einem Jahr mit der sierra-leonischen Regierung geschlossenes Friedensabkommen nur eingeschränkt respektiert, über 500 Mitglieder der UN-Mission zeitweilig festgenommen oder an ihrer Bewegungsfreiheit gehindert. Unter dem Eindruck, das Friedensabkommen sei damit zusammengebrochen, nahm Sierra Leones Regierung daraufhin den Krieg gegen die Rebellen wieder auf und wurde dabei von einer britischen Eingreiftruppe unterstützt. RUF-Führer Foday Sankoh wurde verhaftet. Alle UN-Geiseln der RUF außer den 233 Indern in Kailahun kamen dann auf Vermittlung des Präsidenten des Nachbarlandes Liberia, Charles Taylor, wieder frei.

Die Befreiungsaktion war besser vorbereitet als die UNO zugibt. Vor einer Woche hatte die UNO die Rebellen ultimativ zur Freilassung der Geiseln aufgefordert. Seitdem hat der Kampfhubschrauber der Regierungsarmee – es gibt nur einen – mehrere Luftangriffe auf Kailahun geflogen. Die Aktion ist somit ein Kraftakt der UNO, mit dem sie ihre angeschlagene Autorität in Sierra Leone wiederherstellen will. Erst am 7. Juli hatte General Vijay Jetley, der indische Kommandeur der Blauhelme, die Kriegsparteien in Sierra Leone zur Respektierung des gescheiterten Waffenstillstands aufgefordert und sich damit Kritik von Regierungsseite zugezogen. Doch das Regierungslager ist intern zerstritten. Die Regierungsarmee besteht aus drei Fraktionen, die genauso gern gegeneinander kämpfen wie gegen die RUF.

Unabhängige Kräfte in Freetown fordern längst von der UNO, sie möge nicht nur die Respektierung des Friedensabkommens von 1999 sicherstellen, sondern auch allgemein die Respektierung von Recht und Gesetz im Land – law enforcement statt nur peace enforcement. Dafür wäre mehr nötig als militärische Erfolge gegen die RUF. Der jüngste UN-Bericht zur humanitären Lage in Sierra Leone stellt fest, dass sich „die Sicherheitslage im ganzen Land verschlechtert“ – auch dort, wo die UN-Truppen stehen. Die Anzahl der Kriegsflüchtlinge sei seit Anfang Mai um 150.000 gestiegen. Insgesamt 2,76 Millionen Menschen – über die Hälfte der Bevölkerung – seien vertrieben oder von jeglicher Hilfe abgeschnitten.

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