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Wüstenheller Himmel

Ärmliche Zelte und schulische Provisorien: Eine ganz und gar nicht idyllische Ausstellung über die Polisario in der Westsahara  ■ Von Hajo Schiff

Nach der Landung in europäisch grauem Nieselwetter kamen die Flüchtlingskinder aus der Westsahara aus dem Flugzeug und fragten: „Ist nun Tag oder Nacht?“: Wer mit 160 000 Flüchtlingen sein ganzes bisheriges Leben in einem Lager in Südalgerien verbracht hat, hat zwar trübe Aussichten, kennt aber keine düsteren Tage. Auch grünen Rasen oder das Meer hat die zwar theoretisch gut ausgebildete, aber an einen unwirtlichen Ort gebundene Generation noch nicht gesehen, die infolge des seit 25 Jahren ungelösten Konflikts in einem von Hilfsgütern abhängigen Provisorium in der Wüste aufgewachsen ist.

Da es nur selten Gelegenheit gibt, von den offiziellen Führern der „Frente Polisario“ solche Geschichten zu hören, ruft jetzt die Ausstellung „Söhne und Töchter der Wolken“ im Museum für Völkerkunde das Problem der Sahrauis ins Gedächtnis. Denn dieser Konflikt ist weitestgehend vergessen, obwohl die Westsahara nur eine Viertelflugstunde von den Kanarischen Inseln entfernt ist.

Die Lage dort scheint unlösbar: Der junge marokkanische König will die Akzeptanz seiner Reformversuche in Marokko nicht durch die Aufgabe seines widerrechtlichen Landgewinns im Süden gefährden, aber auch das die Polisario unterstützende Algerien hat wenig Interesse an einer Veränderung. Seit Jahren wird die Volksabstimmung durch marokkanische Verfahrenstricks verschoben, zuletzt wurde der zum 31. Juli 2000 angesetzte Termin wieder abgesagt. Ein erneuter Krieg ist nicht unwahrscheinlich, da die Sahrauis keineswegs auf ihre Selbstständigkeit verzichten wollen, die sie seit dem Waffenstillstand 1991 trotz aller UNO-Versprechen nicht erlangten.

Doch neben der politischen Aussage legt die Ausstellung im Museum für Völkerkunde großen Wert auf eine Inszenierung von Mythos und Tristesse des Wüstenlebens der einstigen Nomaden. Tüllbahnen durchziehen den Raum und geben den BesucherInnen eine Ahnung von Weite und dem Licht eines eigentlich blauen Himmels, der – angefüllt mit den Staubresten eines Sandsturmes – sich ins blendend Helle zu verändern scheint. Ärmliche Schultafeln, ein kleiner Stein-Halbkreis als Andeutung einer Moschee und ein rostiger Wassertank sind Nachschöpfungen des in den algerischen Flüchtlingslagern Gesehenen. Diese Objekte transportieren die Befindlichkeit vor Ort besser als Farbfotos, denen immer das Flair des Exotischen anhaftet.

Der mit Sand gefüllte Hauptraum der Schau enthält kaum Dinge, die Originale im traditionellen Sinne wären. Stattdessen übernimmt die Inszenierung manches vom Geist der vorherigen Ausstellung „Gegenstände“ und setzt auf das subjektive Empfinden des Pub-likums, statt allein wissenschaftlich eine fremde Kultur darzustellen.

Im Eingang sind arabische Begrüßungsrituale zu hören, die Geographie kann der Gast den Landkarten in der angedeuteten Schule entnehmen, und zwischen den optisch zurückgedrängten Hallenpfeilern sind nicht nur Stacheldraht und Minen zu finden, sondern auch Lyrik der Wüste. Für forschendes Interesse ist Hintergrundmaterial in zwei alten Spinden verborgen.

Aber sicher wird auch die traditionelle Aufgabe des Hauses erfüllt: Ein Nomadenzelt aus alten, freien Tagen, schöner Silberschmuck und edles Kunsthandwerk sind im nächsten Raum zu sehen, ausgewiesen als „historisches Museum des Flüchtlingslagers“. Denn für die heutigen Sahrauis sind diese traditionellen Objekte aus den Museen in Hamburg und Stuttgart genauso fremd wie für uns Europäer.

Söhne und Töchter der Wolken - Vertreibung und Exil in der Westsahara: Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, bis 1.Oktober.

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