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Asyldebatte zum Wahlkampf

■ Die Grüne Marieluise Beck, Bundesausländerbeauftragte aus Bremen, fürchtet Konsequenzen aus CDU-Schlappe: erneut Wahlkampf um Asyl

taz: Bremen wird bald das erste Bundesland mit einem Integrationskonzept für MigrantInnen sein. Vereine und Initiativen, die es mittragen sollen, sind kritisch. Wie ist ein solches Konzept überhaupt zu bewerten?

Marieluise Beck (Grüne), Bundesausländerbauftragte: Für mich ist die Förderung nach einem Integrationkonzept janusköpfig. Nachdem über 40 Jahre lang verneint wurde, dass wir de facto ein Einwanderungsland sind, gibt es heute einerseits viele Versäumnisse, insbesondere was das interkulturelle Lernen beispielsweise in Kindergärten und Schulen angeht. Andererseits birgt ein Integrationskonzept immer die Gefahr, dass manche erwarten, mit solch einem Papier Verantwortung delegieren zu können. Integration ist aber ein Prozess, an dem Gesellschaft in ihrer Vielfalt Anteil haben muss.

Viele Bremer Initiativen und Organisationen wollen statt einem solchen Konzept lieber ein Anti-Diskriminierungsgesetz.

Ein Anti-Diskriminierungsgesetz steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung – als Vorhaben. Ich muss zugeben, dass weder der Innenminister noch die Justizminis-terin dies zu ihrem liebsten Kind erklärt haben. Die Europäische Union bringt aber Wind in die Debatte, nachdem sie jetzt eine Antidiskriminierungsrichtlinie verabschiedet hat. Deutschland bleiben jetzt noch drei Jahre zur Umsetzung – also wird es ein Anti-Diskriminierungsgesetz geben.

Der jüngste Anti-Integrationsfall spielte sich jetzt im Bremer Knast ab – wo der Deutschunterricht für Ausländer eingestellt wird. Aus der Bremer Justizbehörde heißt es dazu, viele Betroffene würden ohnehin abgeschoben. Ein Argument ganz nach dem Geschmack der Bundesausländerbeauftragten?

Es gibt klare rechtliche Regelungen darüber, wer mit ausländischem Pass hier unter welchen Bedingungen seine Strafe zu verbüßen hat – und wer aus der Haft heraus abgeschoben wird. Was die Unterrichtserteilung für Häftlinge angeht, die in Deutschland bleiben werden, bin ich der festen Meinung, dass sie auf jeden Fall die Sprache lernen sollen. Über alle Parteigrenzen hinweg herrscht großes Einverständnis, dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist.

In Bremen gab es mehrere Fälle, in denen die ausländischen Ehepartner von Deutschen aus Visagründen ausreisen sollten, um nach Erledigen der Formalitäten im Ausland wieder einzureisen. Betroffene sprachen von Schikane.

Da gibt es zwei Ebenen. Einmal die örtlichen Ausländerbehörden, die ihre Ermessensspielräume nicht ausnutzen, um das Aus- und Wiedereinreisen überflüssig zu machen. Die zweite Ebene betrifft den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes (AA), mit der Frage: Wie wird auf den Konsulaten mit der Erteilung von Visa umgegangen? Da sind einige, sehr restriktive und vom alten Abschottungsgedanken geprägte Entscheidungen bekannt. Es hat aber vor wenigen Monaten im AA – sehr zum Ärger des Innenministeriums – neue Richtlinien zur Visumsvergabe gegeben. Jetzt gibt es auch hier große Ermessensspielräume. Situationen wie im Bremer Fall, wo ein Kind seine Mutter sieben Monate lang nicht gesehen hat, sollten damit nicht mehr vorkommen.

Der Entwurf zum neuen Bremer Polizeigesetz sieht auch verdachtsunabhängige Kontrollen vor, die – als Folge des Schengener Abkommens – Personenüberprüfungen dann zulassen sollen, wenn es um internationale Kriminalität geht. Teilen Sie die Befürchtung, dass es damit zur beliebigen Kontrolle von Ausländern kommen wird?

Ich bin gegenüber solchen Gesetzespassagen mehr als zurückhaltend. Denn dass Menschen mit dunkler Hautfarbe stärker ins Visier genommen werden, ist eine Grunderfahrung – die insofern besonders problematisch ist, als diese Vorkommnisse den Bereich der mittelbaren Diskriminierung betreffen, die schwer zu belegen und entsprechend kaum zu ahnden sind.

Dass der SPD-Fraktions-Chef Peter Struck – anlässlich der verabschiedeten Steuerreform – die FDP jetzt quasi als möglichen Juniorpartner ins Gespräch gebracht hat, verdrängt die Grünen noch mehr aus der öffentlichen Wahrnehmung. Ärgert Sie das nicht, zumal doch sogar bei Grünen-spezifischen Themen, bei der Green Card beispielsweise, der SPD-Bundeskanzler als Impulsgeber gepunktet hat?

Nun, die Green Card ist nur durch massive grüne Intervention letztlich vorzeigbar geworden. Der ursprüngliche Entwurf sah ja quasi ein Wiederaufleben des Gastarbeiter-Modells der 50er Jahre vor. Aber in der Tat kam Schröders Green Card-Vorstoß für alle überraschend – ich glaube, auch für den Kanzler selbt. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Kanzler diese Debatte nicht planvoll angestoßen hat. Ich bin aber erstaunt, wie schnell sich eine gesellschaftliche Stimmung umdrehen lässt, nachdem vor einem Jahr erst zusätzliche Zuwanderung zu einem Tabu erklärt wurde.

Einwanderungsforderungen kamen nicht zuletzt auch von mehreren CDU-Politikern aus Baden-Württemberg und Bayern, die sehr schnell auch für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien beispielsweise ein Bleiberecht gefordert haben, die hier Arbeit hatten. Wann wird das Arbeitsverbot für Asylsuchende aufgehoben – und wird dies auch Kriegsflüchtlinge betreffen?

Noch gibt es ein sehr zähes Ringen zwischen dem roten Bundesarbeitsministerium und der grünen Ausländerbeauftragten darüber, wie das meiner Auffassung nach rechtswidrige Arbeitsverbot ersetzt werden soll. Ich vertrete die Position, dass das Asylverfahrensgesetz den Zugang zum Arbeitsmarkt nach drei Monaten ermöglicht. Das Bundesarbeitsministerium möchte eine zweijährige Wartefrist einführen. Es wird da vermutlich einen zeitlichen Kompromiss geben. Mir ist aber wichtig, dass hier auch lang-jährig geduldete oder etwa jugendliche Flüchtlinge gleichrangig behandelt werden. Denn obwohl sie nur eine Duldung bekommen, bleiben doch viele von ihnen über viele Jahre hier. Das ist insbesondere für Jugendliche dramatisch – deren Potenziale wir nicht nutzen und denen wir zugleich die Zukunft versperren.

Der Bundeskanzler hat jetzt eine „Einwanderungskommision“ berufen, der die CDU-Politikerin Rita Süssmuth vorsitzen wird. Was ist diesbezüglich Ihre größte Sorge?

Die Zusammensetzung der Kommission ist gut – aber ich fürchte, dass die Opposition letztlich doch auf das Asylrecht zielen wird. Meine Befürchtung ist ein Wahlkampf 2002, wo die Union, weil Steuer- und Rentenreform abgefrühstückt sind und die Wirtschaftsdaten gut sind, keine andere Idee mehr hat, als Ausländerfragen zum Wahlkampfthema zu machen. Denn wenn die Tapetentische wieder aufgeklappt werden und die CDU beginnt zu treiben, dann steckt die Volkspartei SPD erfahrungsgemäß in der Klemme. Das ist für die Menschen, die bei uns Schutz suchen, fatal.

Fragen: Eva Rhode

Fotos: Julia Baier

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