Spielbank: Land Bremen kassiert und guckt weg

■ Spielsucht ist ein Thema, für das sich keiner zuständig hält / Croupier Michele Wilhelm reicht's jetzt / Ihr dringendster Wunsch: eine Beratungsstelle für Zocker

„Für Zocker gibt es kein Mitleid.“ Das hat Michele Wilhelm beobachtet. Sie ist Croupier – die weibliche Form dieser Berufsbezeichnung gibt es nicht – im Spielcasino in der Böttcherstraße. Heute Abend ist sie in der ZDF-Reportagereihe „37 Grad“ zu sehen, Thema: „Der Spieler“.

Croupier Wilhelm vollführt eine Gratwanderung: Sie lebt vom Spiel der anderen, dennoch macht sie sich nun für eine Beratungsstelle für Spielsüchtige stark. Und sieht dort, wo das Geld der Spieler hinfließt, beim Staat nämlich, „nur Desinteresse.“ 50 bis 70 Prozent ihrer Gäste hält Michele Wilhelm für gefährdet oder bereits süchtig. „Verschwindend gering“, sei der Anteil Spielsüchtiger unter den Kunden, hält die Spielbank-Geschäftsführung dagegen.

Seit vier Jahren studiert Michele Wilhelm Psychologie, und das hat ihr offenbar Distanz zum eigenen Berufsfeld gebracht. Das Metier habe sie mal fasziniert, sagt die 39-Jährige, die den Beruf vor zwölf Jahren in Saarbrücken erlernt hat, wo erstmals auch Frauen als Croupiers ausgebildet wurden. Es ist die Atmosphäre des „großen Spiels“ – Roulette oder Black Jack –, die Art, „kultiviert mit sich und anderen umzugehen“, die Michele Wilhelm gefällt, die Eleganz. Allein: „Es mutiert, es entgleitet uns.“ Neben das große Spiel – im Jargon auch „Lebendspiel“ genannt, weil hier Lebende, nämlich Croupiers das Spiel machen – tritt zunehmend das „kleine Spiel“: die Automaten. „Wir können zugucken, wie die Leute uns abwandern“, ärgert sich Wilhelm, die zugleich Betriebsratsvorsitzende des Casinos ist.

In den Automatensälen sind die SpielerInnen allein; beim großen Spiel gibt es immerhin noch die Croupiers oder Saalchefs, die mögliche Anzeichen einer Spielsucht bemerken. „Aber es kann doch nicht sein, dass wir die Gäste ansprechen“, findet Wilhelm. Einmal habe sich ein Spieler umgebracht, den sie als Gast kannte. „Da hatte ich plötzlich das Gefühl von Verantwortung. Das will ich nicht haben. Das kann man uns nicht zumuten.“ Das Casino veranstaltet regelmäßig Suchtschulungen, will seine Beschäftigten sensibel machen für Anzeichen der Sucht. Psychologiestudentin Wilhelm findet es problematisch, Nicht-Fachleute auf potenziell Kranke anzusetzen. Das Urteil des Herforder Fachverbands Glücksspielsucht fällt da härter aus: „kosmetische Maßnahme“, nennt Vorsitzende Ilona Füchtenschnieder die Schulungen. Zumal diejenigen geschult würden, die das meiste Interesse an hohen Einsätzen ihrer Kunden haben müssen. Denn das Gehalt der Croupiers hängt wesentlich von den Trinkgeldern ab, die Spieler von ihren Gewinnen dem Personal geben und die monatlich umgelegt werden. „Selbst, wenn man nur höflich sein will“, deutet Michele Wilhelm dieses Dilemma, „kann Höflichkeit schon Animieren sein.“

Zurück zum staatlichen „Desinteresse“. Gemeinsam mit Klaus Roscher vom sozialpsychiatrischen Dienst sowie Dr. Gerhard Meyer vom psychologischen Institut der Universität bereitet Michele Wilhelm einen Fachtag zum Thema Spielsucht vor. Und erntet von den Behörden bisher nur Gleichgültigkeit. „Man kann nicht das Geld kassieren und sich sonst nicht kümmern“, sagt sie, „das ist eine Frechheit.“ 50 Millionen Mark Gewinn hat das Bremer Casino im vergangenen Jahr gemacht, 80 Prozent davon bekam das Land, ein Großteil davon wiederum die Stiftung wohnliche Stadt. Ein kleines bisschen von dem vielen Geld, findet Wilhelm, würde für eine Beratungsstelle reichen. Die Diskussion um die Spielbankgelder sei alt, winkt Horst Heise vom Stiftungsvorstand ab und verweist ansonsten auf die Satzung: „Wir investieren, um die kulturelle Wohnqualität zu verbessern.“ Und auch Innenressort-Sprecher Hartmut Spiesecke hält sein Haus als Aufsichtsbehörde nicht für zuständig. Sinn der Gelder sei, der Stadt etwas Gutes zu tun. „Dass man davon auch etwas anderes Gutes tun kann, ist genauso wahr wie unverbindlich.“ sgi

37 Grad, ZDF, 22.30 Uhr