Ein Spätstarter dreht auf

Während der designierte Sieger dieser Tour de France, Lance Armstrong, seinen Pakt mit Kletterkönig Pantani fortsetzt, muss Jan Ullrich fürchten, seinen zweiten Platz an den Spanier Beloki zu verlieren

von MATTI LIESKE

„Ich brauche nicht einen Ruhetag, ich brauche drei“, sagte Joseba Beloki nach der harten 15. Etappe der Tour de France am Sonntag hinauf nach Courchevel. Der Spanier sprach wohl den meisten Spitzenfahrern aus dem Herzen, die den gestrigen freien Tag nutzten, um neue Energien für die heutige letzte Alpenetappe zu sammeln, auch wenn es längst nicht mehr so steil nach oben geht wie an den beiden Tagesabschnitten am Wochenende.

Da hatte am Col de la Madeleine schließlich sogar Spitzenreiter Lance Armstrong Probleme bekommen und keinen anderen als Marco Pantani um Hilfe gebeten, wie dieser später genüsslich erzählte. Der Italiener gewährte die gewünschte Unterstützung, „weil ich Armstrong sehr schätze“. Dafür verzichtete der Texaner darauf, Pantani bei dessem letzten Antritt zum Etappensieg zu folgen, und erklärte auch dem Spanier Roberto Heras, dass er ihm bei der Jagd auf Pantani nicht helfen werde.

Die 196,5 Kilometer von Courchevel nach Morzine bieten heute die letzte Gelegenheit, ein paar Weichen zu stellen, bevor beim Zeitfahren von Freiburg nach Mülhausen am Freitag das endgültige Gesamtklassement gestaltet wird. Dass der Sieger der Tour Lance Armstrong heißen wird, daran besteht kaum ein Zweifel, der Kampf um die beiden restlichen Plätze auf dem begehrten Podium, das am Sonntag auf den Champs Elysées in Paris errichtet wird, hat sich jedoch zugespitzt. Die Schwäche des Gesamtzweiten Jan Ullrich, der nur als 15. in Courchevel ankam, macht der Konkurrenz Hoffnung, bis auf zwei Sekunden ist Beloki an den Deutschen herangerückt. Dahinter lauern Fahrer wie Christophe Moreau, Belokis Teamkollege bei Festina, dem nur noch 56 Sekunden zu Ullrich fehlen, Heras (58) und Pantani (1:37).

„Ullrich hat seinen Platz auf dem Podium sicher“, sagt dennoch der Festina-Teamchef Juan Fernández, „unsere Hauptrivalen sind die von Kelme.“ Roberto Heras vor allem, neben Beloki der herausragende Vertreter von Spaniens neuer Radsportgeneration bei dieser Tour, die den altgedienten Cracks Abraham Olano und Fernando Escartín den Rang abgelaufen hat. Auch Joseba Beloki ist angesichts der Stärke von Jan Ullrich im Zeitfahren eher besorgt um seinen dritten Platz als optimistisch, was den zweiten Rang betrifft. „Ich glaube nicht, dass ich an Ullrich vorbeikomme“, lautet das für ihn typische Urteil.

Der Spätstarter ist nämlich ein wahrer Ausbund an Bescheidenheit. Mit fast 27 Jahren sollte Beloki eigentlich einer der erfahreneren Leute im Feld sein, doch diese Tour ist seine erste. Noch vor drei Jahren glaubte er nicht, dass er es je zum Profi bringen würde, und war nahe dran, den Radsport aufzugeben. Als der Baske dann doch einen Job bekam, bestand er lange darauf, dass er nie mehr als ein mittelmäßiger Radfahrer sein würde. Selbst nach seinen Siegen in diesem Jahr bei der Asturien-Rundfahrt, dem zweiten Platz bei der Tour de Romandie und den starken Auftritten der letzten Tage mag er sich noch nicht mit den bei dieser Tour böse abgestürzten Kollegen Olano oder Jalabert vergleichen: „Die sind in der Weltrangliste unter den Spitzenfahrern, ich bin in den Achtzigern.“ Als er am Mont Ventoux auf den dritten Platz im Gesamtklassement vorrückte, gab er einen Rang unter den ersten zehn als Ziel aus, dass er jetzt vom Podium redet, ist schon fast ein Wunder. „Beloki scheint gar nicht zu glauben, was er jeden Tag tut“, hat die spanische Zeitung El País bemerkt und weist darauf hin, dass der 26-Jährige im Zeitfahren längst nicht so schlecht ist, wie er vorgibt. Festina-Chef Juan Fernández jedenfalls ist überzeugt: „Beloki hat einfach alles, um ein Champion zu werden.“ Jan Ullrich wäre gut beraten, ihn nicht noch einmal aus den Augen zu verlieren.