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Redewendungen

Minnegesang gegen rechts: Straßburgs „Babel!“-Festival sieht Regionalkultur und Weltmusik nicht als Widerspruch

Der Kongresspalast ist eine Betonburg im Straßburger Norden. Parteitage finden hier statt, Ärztekongresse – und seit vergangenem Jahr jeden Juli das Weltmusikfestival „Babel!“. Nicht durch Matsch und Schlamm von Zelt zu Zelt, sondern über Teppichböden und massive Holztreppen ziehen hier die Besucher von Halle zu Halle. Zwei Argumente sprechen allerdings für den Bau: Erstens regnet es draußen. Und zweitens „besetzt“ man jenen Ort, an dem zwei Jahren zuvor die Front National ihren Parteitag abhielt, gegen den damals die halbe Stadt demonstrierte.

Auch der Begriff „Babel“ wird von den Veranstaltern neu besetzt: „Sprachenvielfalt ist keine Strafe Gottes, sondern eine Chance“, sagt Roger Siffer. Der Sänger ist seit 30 Jahren amtliches Aushängeschild der elsässischen Musikszene, nun hat er zum zweiten Mal das Festival organisiert, dessen Anfang ein politischer war: Aufgeschreckt durch die Erfolge der Front National, die im Elsaß immer mehr Stimmen sammelte, soll mit dem Multikultiereignis nicht nur ein „Zeichen gegen rechts“ gesetzt werden, wie man es auch in Deutschland so gerne macht. „Babel!“ versucht zudem, Lokales für die weltoffene Sache einzuspannen und den Begriff der elsässischen Regionalkultur wieder progressiv zu wenden.

„In den 70ern war die Regionalkultur links bis linksradikal dominiert“, erinnert sich Siffer, selbst immer noch langhaarig und bärtig. „Dagegen wählt der durchschnittliche Elsässer heute rechtsradikal.“ Um diesen Trend wieder umzukehren, führte man am Wochenende neben Folk- und Weltmusikgrößen wie Youssou N'Dour, Huun Huur Tu aus Tuva und Värttinä aus Finnland deshalb auch allerhand elsässische Projekte vor, viele davon als Premieren. Das Festival betreibt gezielt Kulturförderung, immerhin die Hälfte des Budgets von rund 1,5 Millionen Mark ist für Dialektproduktionen reserviert.

Leisten kann man sich den Aufwand, weil die Stadt Straßburg voll hinter dem Festival steht – schließlich hat Siffer das Konzept gemeinsam mit dem damaligen sozialistischen Bürgermeister Roland Ries ausgebrütet, einem der wenigen wirklich zweisprachigen Politiker Straßburgs. Ein Selbstläufer ist „Babel!“ trotzdem nicht. Der konservativ dominierte Regionalrat hält sich stark zurück, und Teile der elsässischen Dialekt-Szene reagierten zuerst ebenfalls reserviert. Sie fürchteten, Siffers Gigantismus werde das gewachsene Liedermacherfest in Ohlungen an die Wand drücken. Am stärksten sind aber die Vorbehalte unter den Straßburger Intellektuellen, die Regionalkulturen als Bedrohung der französischen Republik betrachten und gerade einen „deutschen“ Dialekt besonders verdächtig finden.

Für den Journalisten Martin Graff, der bei „Babel!“ einige schlecht besuchte politische Foren moderierte, ist diese Haltung die Wurzel des Übels. „Die sind alle zu Franzosen mutiert, obwohl manche in den 70ern noch Teil der ökologisch ausgerichteten Dialektszene waren“, klagt Graff. Heute ist die elsässische Sprache dagegen nur noch ein Relikt, selbst auf den Dörfern wird sie kaum noch gesprochen.

Siffer würde das Ruder nun gerne noch einmal herumreißen, die Bretagne ist dabei das große Vorbild. So wurden viele bretonischen Künstler nach Straßburg eingeladen, darunter Stars wie Alan Stivell und Gilles Servat, und heimlich träumt man von 300.000 Besuchern wie beim dortigen Festival Interceltique. Doch tatsächlich steigerte sich der Andrang im Straßburger Kongresspalast gerade mal von 5.000 auf 7.000 Gäste.

Der interregionale Vergleich verweist auch auf das zentrale Problem: Während in der Bretagne die Tanz- und Musikkultur im Vordergrund steht, ist im Elsaß der Gebrauch der traditionellen Sprache völlig im Mittelpunkt. So gab es bei „Babel!“ vor allem Übersetzungen: elsässische Gospellieder, elsässischer Rock 'n' Roll und elsässische Übertragungen von französischen Chansons im Überfluss. Nichts, was außerhalb der Region von Interesse wäre, und wohl auch nichts, an dem Jugendkulturen anknüpfen könnten. „Die lebendige elsässische Dorfkultur besteht eben vor allem aus Blasmusik nach bayerischem Vorbild“, erläuert Siffer das Dilemma. Lokale Gruppen hatten es denn auch schwer gegen die Weltmusik-Konkurrenz. Das Konzert elsässischer Minnesänger war symptomatisch: zu alt die Musiker, zu rückwärtsgewandt ihr Horizont. Das begeisterte nur ein paar Unerschrockene, Aufbruchstimmung kam keine auf. CHRISTIAN RATH

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