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Wahnsinn Wachstum

Drei Prozent Wachstum werden in den nächsten Jahren in Deutschland erwartet. Kein Grund zur Freude. Denn stabiles Wachstum gibt es nichtvon RAINER WAGENER

Gerade hat Wirtschaftsminister Werner Müller stolz verkündet, dass in den nächsten Jahren ein Wachstum von drei Prozent wahrscheinlich sei. Und hat damit Freude in den unterschiedlichsten Lagern ausgelöst. Ob grüne Haushaltsexperten, Gewerkschaften oder Unternehmensverbände – alle sind sich einig: Die Wirtschaft braucht Wachstum. Um die Arbeitslosigkeit zu drücken oder die Löcher in der Rentenkasse zu stopfen, gelten selbst fünf Prozent als erstrebenswert. Langfristiges exponentielles Wachstum versteht sich natürlich real, ohne Tricksereien mit Inflation. Dabei scheint niemand zu bedenken, was „stabiles“ Wachstum bedeutet, welche Dynamik sich hinter diesem fast schon natürlich anmutenden Begriff verbirgt – schließlich gibt es sogar ein Gesetz für „Stabilität und Wachstum“.

Doch angenommen, schon zur Zeit des Turmbaus zu Babel hätte jemand eine Mark – oder das damalige Äquivalent – zu drei Prozent Zinsen angelegt. In den ca. 2.700 Jahren, die inzwischen vergangen sind, hätte sich das beachtliche Sümmchen von 46 mal 10³³ Mark angesammelt. Würde der „Eigentümer“ das Geld jetzt einfach verteilen, würde auf jeden heutigen Erdbewohner das ca. 85-Billionenfache des Vermögen von Bill Gates entfallen. Natürlich nur nominell, denn offensichtlich existiert im ganzen Sonnensystem kein käuflicher Gegenwert für solch astronomische Beträge.

Die Gesamtsumme entspricht übrigens dem Gegenwert von ca. 401.269 Erdkugeln in Feingold zum aktuellen Degussa-Kurs. Es erscheint zunächst unfassbar, dass aus so bescheidenen Zahlen wie einer Mark bei drei Prozent Zinsen und 2.700 Jahren derart irrwitzige Endbeträge entstehen. Dies ist aber die Gesetzmäßigkeit exponentiellen Wachstums.

Gut, 2.700 Jahre sind ein langer Zeitraum. Politiker werden schließlich nur für vier Jahre gewählt, und wen interessiert, was in 2.700 Jahren sein wird? Die Strahlkraft der Plutoniumendlagerstätten wird jedenfalls deutlich weniger gelitten haben als die der ewigen Wachstumsapologeten. So viel ist sicher.

Doch auch schon wesentlich kürzere Zeiträume lassen „stabile“ Wachstumskonzepte äußerst verdächtig erscheinen. In der Lebensspanne von nur zwei Menschen, nämlich von Ernst Jünger und Luis Trenker, die es gemeinsam auf etwa 200 Jahre bringen, würde unser Bruttosozialprodukt das 17.292fache von heute betragen, wenn ein reales Wachstum von fünf Prozent im Jahr vorausgesetzt wird. Ein Sozialhilfeempfänger würde, bezogen auf heutige Relationen, etwa 20 Millionen Mark kassieren. Pro Monat, versteht sich. Und zwar „real“, ohne Inflation, bei vergleichbarer Kaufkraft wie heute.

Sind dies „real“istische Perspektiven? In Wahrheit zeigt sich vielmehr: 1. Es gibt kein wirklich „stabiles“ Wachstum. Dieses Konzept verstößt schlicht gegen die Naturgesetze. 2. Jedes exponentiell wachsende System zerstört sich selbst. Es wird zu groß. Je niedriger das Wachstum, desto stabiler, also länger, kann es funktionieren.

Doch Politiker und Experten fordern verstärktes Wachstum, um damit Volkswirtschaft und Gesellschaft zu stabilisieren, die auf die Unmöglichkeit des permanenten Wachstums gegründet sind. Die Stabilisierung der destabilisierenden Strukturen also. Der völlige Zusammenbruch ist unausweichlich.

Wozu überhaupt Wachstum? Der Zwang dazu liegt in der Kapitalverzinsung, die Banken, Fondsmanager und andere Investoren erwarten. Dies erfordert entweder Wachstum der Gesamtwirtschaft, oder aber der Zinsgewinn wird durch Umverteilung ermöglicht – also zu Lasten des anderen Produktionsfaktors, nämlich der Arbeit. Konkret: Die Gewinne steigen, die Löhne stagnieren. Dies kann aber – ohne Widerstand – nur vorübergehend funktionieren. Die permanente Kapitalverzinsung kann nur als gesellschaftliches Gesamtinteresse firmieren, solange ein quasi „natürliches“ Wachstum stattfindet. Ideal dafür sind Zeiten wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, mit einer bedürfnisreichen Bevölkerung: Alle brauchten Kleidung, Möbel, wollten Häuser und Autos. Doch irgendwann tritt zwangsläufig eine gewisse Sättigung ein. Man kann nur dreimal am Tag essen, es braucht nicht jede(r) zehn Häuser oder zwanzig Autos.

Und genau hier tritt das grundsätzliche Dilemma des Kapitalismus zutage: Ein auf exponentielles Wachstum angelegtes Kapital- und Finanzierungssystem muss immer verflochten sein mit einer Welt realer Waren und Dienstleistungen, in der exponentielles Wachstum weder dauerhaft erwünscht noch letztendlich möglich ist.

Da also die exponentielle Wachstumsdynamik des Kapitals die Wachstumsmöglichkeiten der Verbrauchermärkte übersteigt, ist das Kapital gezwungen, „moderne“ Verzinsungsstrategien zu entwickeln: 1. Vom Wirtschaftswachstum profitieren überproportional die Kapitaleigner. Die Masse der Arbeitnehmer hält gerade den Lebensstandard, wenn überhaupt. Ganz zu schweigen von den Arbeitslosen. 2. Die Märkte müssen ausgedehnt werden. Auf alle Staaten der Erde wird ungeheurer Druck ausgeübt, möglichst viel zu privatisieren. Gleichzeitig wird der Bereich des so genannten geistigen Eigentums bis ins Absurde ausgedehnt, indem sogar Patente auf Leben vergeben werden. So wird schließlich die gesamte Schöpfung vom Verzinsungswahn instrumentalisiert und „besessen“. 3. An der Börse werden die Gewinne bzw. Gewinnerwartungen der nächsten Jahrzehnte verhökert und Buchwerte erzielt, denen als reales Äquivalent nur spekulative Werte irgendwann in der Zukunft, wenn überhaupt, gegenüberstehen. 4. Es fließt immer mehr Kapital in die internationalen Finanzmärkte. Dort zirkulieren etwa zwei bis drei Billionen Dollar pro Tag, wovon aber nur zwei bis drei Prozent auf reale Investitionen entfallen. Der Rest sind reine Kapitalgeschäfte, die nach Belieben die Werte ganzer Volkswirtschaften entwerten können und momentan profitabler sind als Investitionen in sinnvolle Güter.

Es ist ein fataler Irrglaube, die Gesellschaft müsse sich nur mal „modernisieren“. Dies verkennt die Natur exponentiellen Wachstums. Denn je größer heute die Gewinne und damit die angesammelten Kapitalien sind, umso größer sind die Probleme und der Druck, der morgen zwangsläufig ausgeübt werden muss, um diese wachsenden Kapitalien noch zu verzinsen.

Die als „natürlich“ angenommene exponentielle Wachstumsdynamik muss als absurd gewordenes Herrschaftsverhältnis, als selbstreferentielle Virtualökonomie, als autistische Fehlsteuerung entmystifiziert werden. Sonst gerät jeder soziale oder ökologische Politikversuch zur hilflos moralisierenden Geste.

Nähere Informationen zum Thema sind im Internet zu ermitteln unter:

www.geldreform.de, www.inwo.org, www.inwo.de

Hinweis:Jedes exponentiell wachsende System zerstört sich selbst. Der Zusammenbruch ist unausweichlich.Es ist ein fataler Irrglaube, die Gesellschaft müsse sich nur mal eben „modernisieren“

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