: Transrapid im Nahverkehr
Keine der fünf gegenwärtig diskutierten Trassen für eine Magnetbahn nutzt die Vorteile der Technik, kritisiert der namhafte Verkehrswissenschaftler Karlheinz Rößler und schlägt Alternativen vor
aus Berlin ANNETTE JENSEN
„Wenn schon fünf Milliarden ausgegeben werden, dann sollten sie zumindest einen vorhandenen Verkehrsnotstand beheben“, sagt der Verkehrswissenschaftler Karlheinz Rößler aus München. Seit dem endgültigen Aus für den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin sind fünf Strecken im Gespräch, auf denen die Magnettechnik doch noch zum Einsatz kommen soll. Die Vorschläge stammen von den Ländern, das Geld will Verkehrsminister Klimmt spendieren.
Bis September will die Deutsche Bahn zusammen mit den Ministerialen eine Vorauswahl treffen. Spätestens Anfang 2002 soll die Strecke festliegen. Doch an keiner der gegenwärtig geprüften Trassen ließen sich alle drei Vorteile magnetischen Schwebens überhaupt demonstrieren, kritisiert Verkehrswissenschaftler Rößler, der sich als Gutachter für Eisenbahninfrastruktur einen Namen gemacht hat. Deshalb hat sein Büro zwei Regionalstrecken vorgeschlagen, die diesen Kriterien gerecht werden: von Essen nach Remscheid und von Tübingen nach Stuttgart.
Die Magnettechnik zeichnet sich zum einen durch eine extreme Beschleunigungsfähigkeit aus. Die bringt umso größere Zeitvorteile, je häufiger gebremst und wieder angefahren wird. „Punkt-zu-Punkt-Verbindungen wie vom Münchner oder Berliner Zentralbahnhof zum jeweiligen Flughafen erfüllen dieses Kriterium nicht.“
Der zweite Vorteil der Technik sei die Lärmarmut bei Geschwindigkeiten bis zu 250 Stundenkilometern. Als 400-Stundenkilometer-Flitzer in der freien Landschaft verursacht eine Magnetbahn dagegen extremen Krach. Außerdem sind die Kosten für ein solches Flugzeug am Boden unverhältnismäßig hoch, weil der Motor im gesamten Fahrweg und nicht im Fahrzeug selbst steckt. „Eine Magnetbahn ist deshalb allenfalls dann sinnvoll, wenn die Strecken kurz sind und viele Leute transportiert werden“, konstatiert der Münchner Verkehrsexperte. Aus dieser Perspektive wäre die vorgeschlagene Strecke von Hamburg über Bremen ins niederländische Groningen auf jeden Fall eine Fehlentscheidung, ähnlich wie die beantragte Verbindung der Flughäfen Frankfurt und Hahn (Rheinland-Pfalz).
Das einzige Projekt, das die Magnetbahn als Regionalverkehrsmittel einsetzen will, ist der von Nordrhein-Westfalen ins Spiel gebrachte Metrorapid im Ruhrgebiet. Er soll zunächst Düsseldorf und Dortmund verbinden – in 34 Minuten statt in 53 per Intercity. Die Kosten für die 80 Kilometer lange Strecke veranschlagt die Landesregierung auf 6,5 Milliarden Mark.
„Mindestens ein Fünftel unserer Fahrgäste werden wir von der Straße holen“, glaubt Michael Gaedtke, Leiter der dortigen Landesverkehrsplanung. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass bis zu 80 Prozent der Fahrgäste von der Bahn abgeworben werden sollen. Rössler meint hingegen, der dritte Vorteil der Magnettechnik sei im flachen Ost-West-Verlauf des Ruhrpotts einfach nicht zu demonstrieren: Die Möglichkeit, auch steile Berge frontal zu überwinden. Auf der 47 Kilometer langen Strecke von Essen nach Remscheid gibt es dagegen mehrere bis zu 12-prozentige Steigungen. „Eine solche Landschaft ist mit der Eisenbahn kaum zu erschließen.“
Dort nimmt Rößler den Autoverkehr ins Visier: „Da die Eisenbahn zwischen Essen und Remscheid so gut wie gar nicht existiert, dürften rund 80 Prozent der Fahrgäste des Regiorapid vom Autoverkehr abgezogen werden.“ Rössler setzt für die eingleisig konzipierte Strecke 1,5 Milliarden Mark Baukosten an. Die Fahrtzeit betrage bei 12 Zwischenstopps nur 31 Minuten und bediene relativ dicht besiedeltes Gebiet. So würde Velbert angeschlossen – mit 55.000 Einwohnern die größte deutsche Stadt ohne Eisenbahnverbindung.
Wenn alle Vorteile der Magnetbahn zum Tragen kommen, überzeugt sie möglicherweise auch im Ausland, meint Rößler. Schließlich gebe es immer mehr Ballungszentren, die in topografisch schwierigen Gebieten liegen und kein funktionierendes Nahverkehrssystem haben.
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