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Entschädigung besiegelt 1,9 Milliarden Mark fehlen

Internationales Abkommen über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern in Berlin unterzeichnet. Deutsche Wirtschaft muss erst zahlen, wenn US-Gerichtsverfahren erledigt sind

BERLIN taz ■ 55 Jahre nach Kriegsende, nach eineinhalbjährigen Verhandlungen, war es gestern so weit: In Berlin wurden die entscheidenden internationalen Abkommen zur Entschädigung der NS-Zwangs- und Sklavenarbeiter unterzeichnet. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sprach von einem „historischen Tag“ für die Opfer und für die Deutschen. Auch der Präsident der Jewish Claims Conference (JCC), Rabbi Israel Miller, sagte: „Das ist ein historischer Tag.“

Der erste Vertrag wurde vom US-amerikanischen Vizefinanzminister Stuart Eizenstat, vom deutschen Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff und – für die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft – von DaimlerChrysler-Finanzvorstand Manfred Gentz unterschrieben. Auch Israel, Polen, die Tschechische Republik, die Ukraine, Russland, Weißrussland, die Jewish Claims Conference und die Opferanwälte unterzeichneten. US-Anwalt Ed Fagan hatte mit Verhandlungen unter anderem über Kunstgegenstände in letzter Minute noch den Festakt verzögert.

Das Abkommen regelt die Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Sie soll mit einem Finanzstock von 10 Milliarden Mark noch in diesem Jahr mit der Zahlung von Entschädigungssummen von 5.000 bis 15.000 Mark pro Person an ehemalige Zwangsarbeiter beginnen.

Je fünf Milliarden Mark sollen vom Staat und von der deutschen Wirtschaft aufgebracht werden. Die deutschen Unternehmen freilich haben bislang erst 3,1 Milliarden Mark in den entsprechenden Fonds eingezahlt. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat eine rasche Umsetzung der Vereinbarungen angekündigt, der Bund werde seinen Beitrag noch in diesem Jahr in zwei Tranchen einzahlen.

Ein zweites Abkommen zwischen Deutschland und den USA regelt die Frage der Rechtssicherheit: Die US-Regierung betont gegenüber den US-amerikanischen Gerichten, dass Entschädigungsklagen gegen deutsche Unternehmen nicht in ihrem außenpolitischen Interesse liegen. Damit sind die Unterzeichner den Forderungen der deutschen Wirtschaft entgegengekommen: Sie wird erst zahlen, wenn alle Klagen zur Entschädigung abgewiesen sind. Die insgesamt 54 in den USA noch anhängigen Verfahren gegen deutsche Unternehmen sollen nun zusammengefasst zurückgewiesen werden. Die Rechtsstreitigkeiten gelten damit als „erledigt“.

Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ wird von einem Kuratorium geleitet, dessen Vorsitzender spätestens im September von Bundeskanzler Gerhard Schröder ernannt werden soll.

Die übrigen 26 Mitglieder werden von den Organisationen benannt, die die Stiftungsgelder vor allem in Osteuropa verteilen. Auch vier Unternehmensvertreter sind dabei.

Der deutsche Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff, der zunächst als Kuratoriumsvorsitzender im Gespräch war, steht für den Posten nach eigenen Aussagen nicht zur Verfügung. Bisher ist kein anderer Kandidat für den Vorsitz benannt.

inland SEITE 6, politisches buch SEITE 17

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