: Der Mantel des Botschafters
Englischsprachiges Theater im Hauptstadtrausch: „Venus“ im Friends of Italian Opera
„Venus“, die jüngste Produktion von den „Friends of Italian Opera“ ist etwas größer ausgefallen als gewohnt und wurde diesmal nicht auf der kleinen Bühne in der Fidicinstraße, sondern auf der Probebühne der Schaubühne herausgebracht. Ein Stück der afroamerikanischen Dramatikerin Suzan-Lori Parks über eine junge Frau, „naive of a dark continent“, die um 1810 aufgrund ihres enormen Hinterteils, mit dem sie dem Schönheitsideal ihrer Kultur entsprach, nach Europa gelockt und in Freak-Shows zusammen mit anderen so genannten Missgeburten zur Gaudi des Publikums als „Venus Hottentot“ ausgestellt wurde. Ein französischer Arzt kauft sie heraus, liebt sie und studiert ihre Anatomie gleich dabei. Am Ende ist sie tot und vom Geliebten seziert. Eine grausige Groteske über Rassismus und Kolonialismus, sehr schrill und eindringlich vom jungen Matthew Earnest inszeniert.
Günther Grosser, der künstlerische Direktor dieses einzigen Berliner Theaters, das in englischer Sprache spielt, ist im Hauptstadtfieber. Seit die Botschaften in die Stadt ziehen, gäbe es ein verstärktes Interesse an seinem Theater. Die Premiere des Gastspiels der Irischen Schauspielerin Gina Moxley mit einer Adaption des Romans „The Mistress Of Silence“ wird in Anwesenheit des irischen Botschafters stattfinden, mit anschließendem Empfang. Auch die britische Botschaft sei an ähnlichen Veranstaltungen interessiert. Der Spielort in der Fidicinstraße ist für solche Veranstaltungen auf die Dauer zu klein. „Da kann die Frau des Botschafters ja nicht mal ihren Mantel aufhängen“. Deshalb brauche man eine neue Spielstätte, größer und schöner. „Es klingt vielleicht komisch“, sagt Grosser, „aber ein großes Theater ist auch leichter zu finanzieren als ein kleines, weil es leichter ist, Sponsoren zu interessieren.“ Wenn alles gut geht, kann man nächstes Frühjahr umziehen.
Um das gewachsene Gewicht in der Stadt zu untermauern, wurde mit „Venus“ auch das Programm „directors in residence“ gestartet: Regisseure werden nach Berlin eingeladen, um mit den „Friends of Italian Opera“ Projekte zu realisieren. Im Winter kommt die amerikanische Regisseurin Nancy Bishop, die seit vielen Jahren in Prag arbeitet, und wird dann Arthur Kopits Stück „Road to Nirvana“ inszenieren.
Keinen schlechten Anfang machte jetzt Matthew Earnest aus New York mit „Venus“. Ein greller Bilderbogen über die Schrecken, die das 19. Jahrhundert von Europa aus verbreitete: mit seiner Wissenschaft, seiner Kultur, seinem Rassismus. Priscilla Be als „Mother Showman“, LaTonya Borsay als „Venus“ und Tray Hicks als Venus’ steifer Liebhaber aus dem Laboratorium von Dr. Frankenstein. Alle Figuren sind moritatenhaft überzeichnet. Comichafte Grimassen und übertriebene Gesten. Die Venus mit ausgestopftem Hinterteil und umgebundenen Brüsten. Und trotzdem kommen sie einem plötzlich so nahe, dass man nicht anders kann, als sie entweder zu hassen oder mit ihnen zu fühlen. ESTHER SLEVOGT
Bis zum 23. Juli täglich außer montags, 20 Uhr, Probebühne der Schaubühne, Cuvrystraße Ecke Schlesische Straße
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