: Spanien droht eine ETA-Offensive
Hunderttausende protestieren gegen den jüngsten Anschlag der baskischen Separatisten. Diese haben ihre von der Polizei zerschlagene Infrastruktur neu organisiert. Der Konflikt zwischen der Autonomieregierung und Madrid eskaliert
aus Madrid REINER WANDLER
Mit weiß angemalten Händen und rhythmischen „Basta Ya!“- („Schluss jetzt!“)Rufen sind am Montagabend 300.000 Menschen in Málaga auf die Straße gegangen. Die Wut über das tödliche Attentat der baskischen Separatistengruppe ETA auf den konservativen Stadtrat José María Martín Carpena am vergangenen Samstag versammelte so viele Menschen in der 500.000 Einwohner zählenden andalusischen Stadt wie kein anderer Anlass je zuvor. „Ihr könnt einen von uns ermorden, ihr könnt viele von uns ermorden, aber solange nur ein Malagene übrig bliebt, werdet ihr uns nicht die Freiheit nehmen“, rief Bürgermeister Francisco de la Torre sichtlich aufgebracht. Die Menge applaudierte.
De la Torre gehört ebenso wie der Ermordete Carpena der in Madrid regierenden Partido Popular (PP) an. Mit den Anschlägen auf PP-Gemeinderäte versucht die ETA, Regierungspräsident José María Aznar unter Druck zu setzen. Neun PP-Kommunalpolitiker haben seit 1995 ihr Leben verloren.
Seit die radikalen Nationalisten Dezember vergangenen Jahres ihren 16-monatigen, einseitigen Waffenstillstand brachen, intensivieren sie ihre Aktivitäten. Sechs Menschen verloren seither ihr Leben. Der Anschlag auf Carpena am vergangenen Samstagabend war das sechste Attentat nach Aufkündigung der Feuerpause. Kurz darauf schlug ein weiteres ETA-Kommando zu. In Agreda, einem kleinen Ort nahe der zentralspanischen Stadt Soria, explodierte ein Autobombe und richtete schweren Sachschaden an einer Kaserne der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil sowie an den umliegenden Gebäuden an.
Alles deutet darauf hin, dass die Separatisten die Sommermonate für eine Offensive nutzen wollen. Mit den Anschlägen von Madrid und Málaga beweist ETA einmal mehr die Fähigkeit, durch die Ermittlungsbehörden zerschlagene Strukturen wieder zu beleben. Sowohl das „Kommando Madrid“ als auch das „Kommando Andalusien“ waren in den letzten beiden Jahren von der Polizei ausgehoben worden. Jetzt sind neue Mitglieder in der Hauptstadt und im touristischen Süden des Landes aktiv. Den Anschlag in Soria schreiben die Polizeibehörden einem eigens aus dem Baskenland angereisten Kommando zu. Auch dort verfügen die Separatisten über mehrere neue Gruppen.
Mit der Gewaltwelle nach Ende des Waffenstillstandes ist es ETA gelungen, tiefe Gräben zwischen der baskischen Autonomieregierung und der Zentralregierung in Madrid aufzureißen. Die Basken werfen José María Aznar vor, ausschließlich auf polizeiliche Methoden bei der Bekämpfung ETAs zu setzen. Die Regierung in Madrid hingegen macht die in den Nordprovinzen regierende Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) für die Gewalt mitverantwortlich. Die PNV arbeitet seit über knapp zwei Jahren mit dem politischen Umfeld der bewaffneten Separatisten zusammen und brach diese Kontakte auch dann nicht vollständig ab, als ETA zu den Waffen zurückkehrte. Innenminister Jaime Mayor Oreja beschuldigt die PNV, „Kollaborateure der ETA-Strategie“ zu sein.
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