: Arbeitsscheuer Akademiker
Er redet viel und motiviert ungewöhnlich: Mit dem Trainer Peter Neururer will der Regionalligist Kickers Offenbach in der kommenden Saison die prompte Rückkehr in die 2. Bundesliga schaffen
aus Offenbach KLAUS TEICHMANN
Ganz gewaltig geirrt hatte man sich bei den Offenbacher Kickers im vergangenen Jahr. 100 Jahre nach der Vereinsgründung wollte man wieder in der 2. Liga spielen. Aber 1901 plus 100 ergibt nun einmal 2001 und nicht 1999. Da man mit dem letztjährigen Aufstieg also definitiv zu früh dran war, stieg man prompt wieder ab – rechtzeitig zum offiziell vorgesehenen Termin für den Aufstieg.
Das Budget stimmt, mit 4,5 Millionen Mark für die drittklassige Profiliga geht man finanziell in die Vollen. Nur der Karlsruher SC hat von Kölmels Kinowelt noch ein wenig mehr Geld zur Verfügung, um den Betriebsunfall Abstieg möglichst schnell wieder zu beheben. Die wenigen bundesligatauglichen Akteure wollten sich jedoch auch die neu gegründete Regionalliga-Süd mit den großen Namen VfR Aalen, Wacker Burghausen und SC Pfullendorf nicht antun. Torhüter Goran Curko und Ion Vladoiu verließen deswegen den OFC.
Der Oberzampano ist jedoch geblieben. Trainer Peter Neururer hat sich nach langem Hin und Her für „das phantastische Publikum“ auf dem Bieberer Berg entschieden. Bei solchen Anlässen der Güterabwägung spricht Neururer gerne von der „Summation der Ereignisse“, denn der Dampfplauderer aus dem Ruhrpott ist kein normaler Fußball-Trainer. Neururer ist nach eigenem Bekunden „in erster Linie Akademiker – vielleicht weil ich noch nie richtig arbeiten wollte“.
Tänzchen vor Fans
In Offenbach heuerte er 1999 nach neun Spieltagen beim damaligen sieglosen Tabellenletzten der 2. Liga an. Er stellte mittels Soziogrammen „in Sachen Selbsteinschätzung eine hohe Signifikanz“ fest, führte den OFC von Sieg zu Sieg und brachte vor der Fangerade regelmäßig ein Tänzchen dar. Schließlich reichte es doch nicht ganz, gegen die direkten Konkurrenten aus Stuttgart und St. Pauli verlor man die entscheidenden Heimspiele und weg waren die Kickers. Selbst die Neururer’sche Motivationstrickkiste versagte. Zur Beobachtung der Konkurrenz von Waldhof Mannheim schickte der Coach sein Team in vollem Vereinsoutfit durch die Innenstadt des Erzrivalen. Aber das Spießrutenlaufen zur Stärkung des Teamgeistes half auch nichts.
Das Bleiben Neururers war lange unklar, bereits während der Saison wurde er mit dem MSV Duisburg in Verbindung gebracht. Auch mit dem allmächtigen Manager Klaus Gerster soll es nicht mehr so recht passen. Ob der direkte Wiederaufstieg zum Ziel erklärt würde, war schließlich das offizielle Kriterium für Neururers Entscheidungsfindung. Gerster verkündete dann endlich die Weichenstellung für eine schnelle Rückkehr: „Wir haben nur einen Schuss und der muss sitzen“.
Neururer bleibt nun, wenn auch immer wieder kuriose Meldungen um den Vielplapperer kursieren. Zuletzt die, dass der 45-Jährige Bundestrainer an Teamchef Rudi Völlers Seite werden sollte. Einzig Völlers Nachfolger hat den Coup angeblich zum Platzen gebracht: „Rudi sucht einen Mann, der auch unter Christoph Daum in irgendeiner Form weiter arbeitet“, berichtet Neururer, „aber mit Daum komme ich nicht klar.“
Konfliktfreude
Ins Bild vom konfliktfreudigen Neururer passt auch, dass er ständig ausrangierte Spieler vom verhassten Nachbarn Eintracht Frankfurt als mögliche Verstärkungen für die Offenbacher ins Spiel bringt. Allein Namen wie Uwe Bindewald oder Jan Age Fjörtoft reichen aus, um eine Versammlung der neu gegründeten Fan-Abteilung einzuberufen. Einen Sitz in Präsidium und Verwaltungsrat streben die Anhänger sogar an, um das drohende Unheil von der anderen Mainseite noch abwenden zu können.
Auch für die Regionalliga wird weiter fest mit dem sprichwörtlichen „Feeling Bieberer Berg“ gerechnet, nicht zuletzt wegen der bundesligareifen Kulisse bekam der OFC seinen Stempel „Kultverein“ ab: Mit knapp 8.000 Zuschauern kalkulieren sie in Offenbach derzeit. Wenn die Kickers oben mitspielen, können es gegen Teams wie den Karlsruher SC oder Darmstadt 98 deutlich mehr werden. Immerhin wurden den Kickers bis Weihnachten gleich sieben Flutlicht-Heimspiele am Freitagabend in den Terminplan gelegt.
Die namhaften Verstärkungen, die die Wiederaufstiegsgarantie einlösen sollen, fehlen noch. Man setzt in Offenbach auf junge Talente, wie beispielsweise den von den Bayern-Amateuren geholten 21-jährigen Stürmer Patrick Würll. Lange hat man bei den Kickers gebraucht, um sich die Regionalliga als neue Herausforderung zurechtzubiegen, ganz ist es immer noch nicht gelungen. Immerhin wäre es ja zum Vereinsjubiläum auch eine nette Option gewesen, in die erste Liga aufzusteigen. Dann kämen Teams wie der 1. FC Kaiserslautern auf den ausverkauften Bieberer Berg – nicht nur in der ersten Runde des DFB-Pokals.
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