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„Wie ein Gespenst“

In den Fünfzigern waren die Manhattan Brothers die Fab Four Südafrikas. Ihr Leadsänger Joe Mogotsi würde dort gerne noch einmal auftreten

Interview CHRISTOPH WAGNER

taz: Was war das Erfolgsrezept der Manhattan Brothers?

Joe Mogotsi: Zulu-Gesangsgruppen gab es damals viele. Wir versuchten anders zu sein. Es schien uns erfolgversprechender, amerikanische Songs mit afrikanischen Elementen zu vermischen. Die amerikanische Firma Decca zeigte Interesse und schlug uns Hits aus den USA vor, die wir mit afrikanischen Texten singen sollten. Das machte uns ungeheuer populär. Wir traten regelmäßig nach den Nachrichten live im Radio auf.

Als junge Männer waren wir sehr erfolgsorientiert, wir wollten Geld verdienen. Deshalb nannten wir uns Manhattan Brothers. Wir wollten nicht nur für unsere schwarzen Landsleute singen, sondern auch den weißen Markt in Südafrika und in Europa erobern. Der Name Manhattan Brothers ließ die Leute im Ungewissen, ob wir aus Amerika oder aus Afrika kamen.

Hatten Sie auch einen persönlichen Bezug zur US-Musik?

Wir gingen alle in die gleiche Schule in Pimville, das heute ein Teil von Soweto ist. Die Lehrer sangen mit uns keine afrikanischen Songs, sondern Melodien aus Amerika wie Ragtime und Jazz, die damals groß in Mode waren. Diese Lieder wurden in Wettbewerben am Ende des Schuljahrs aufgeführt mit den Eltern im Publikum. Dadurch wurden wir schon in der Schule zu kleinen Gesangsstars.Anfangs sangen wir als Vokalgruppe an Straßenecken in Johannesburg. Das half unseren Eltern finanziell. Ich verdiente durch Straßenmusik mehr Geld als mein Vater durch reguläre Arbeit. Er wollte nicht, dass wir ins Musikgeschäft einstiegen. Ich gab deshalb das Geld, das ich verdiente, meiner Mutter - mein Vater hätte sonst einen Wutanfall bekommen. Doch wir merkten, dass man mit Musikmachen vielleicht seinen Lebensunterhalt verdienen könnte.

Wie kam es zum Durchbruch der Manhattan Brothers?

Als wir in Johannesburg auf der Straße sangen, sprach uns jemand an und lud uns in sein Büro zu einem Gespräch. Er bot uns eine Schallplattenaufnahme an, und ein paar Tage später schon gingen wir dann ins Studio, zum Vorsingen.

Da waren weiße Musiker, die uns begleiteten, und wir fühlten uns wie kleine Stars. Nach der Aufnahme fragten wir den Studiomanager, wie viel wir ihm schuldeten – und merkten erst da, dass sie eigentlich uns Geld bezahlen wollten. Wir bekamen ein kleines Handgeld, und ich war ungeheuer stolz.

Welche Schwierigkeiten hatten Sie als schwarzer Musiker unter der Apartheid?

Es gab viele Schikanen, wie Ausweiskontrollen und Razzien. Wenn wir proben wollten, mussten wir jemanden als Wache postieren, der uns vor der Polizei warnte. Wenn sie kamen, musstest du schnell verschwinden, sonst gab es Prügel. Weißen war es nicht erlaubt, in schwarze Kulturzentren zu gehen. Trotzdem kamen immer welche dorthin - nur um uns zu hören.

Wir traten auch in weißen Clubs in Johannesburg auf, mussten aber durch den Hintereingang rein. Es war illegal, aber wenn Weiße Unterhaltung wollten, drückte die Obrigkeit ein Auge zu. Für unsere Auftritte bekamen wir meist reichlich zu essen - Speisen, die man in den schwarzen Vierteln nie zu Gesicht bekam. Aber danach mussten wir wieder durch den Hintereingang raus.

1961 kamen Sie mit dem Musical „King Kong“ nach London. Wie gestaltete sich Ihre erste Reise nach Europa?

Wir kamen per Charterflug von Johannesburg nach London. Die meisten der 70 Beteiligten waren noch nie mit einem Flugzeug geflogen, und noch unglaublicher war, dass wir von Weißen bedient wurden. Schon allein das Wort London klang wie Himmel für uns. Selbst Nelson Mandela und die politische Bewegung sahen in uns Leitfiguren. Endlich konnten wir der Welt zeigen, was wir Schwarzen in Südafrika zu leisten in der Lage waren - dass wir keine Menschen zweiter Klasse sind. Als wir dann allerdings nach Südafrika zurückwollten, verweigerte uns die Regierung die Wiedereinreise. Auch die Briefe, die wir an unsere Familien schrieben, kamen nie an. Erst als jemand nach Südafrika reiste und unsere Briefe mitnahm, erfuhren unsere Eltern, dass uns die südafrikanische Regierung nicht mehr ins Land ließ. Das britische Innenministerium schaltete sich ein, es wurde alles versucht – ohne Erfolg. Gründe wurde keine genannt.

Was ging damals in Ihnen vor ?

Du bist in einem Land geboren und aufgewachsen, und auf einmal lassen sie dich nicht mehr hinein - das ist natürlich ein Schock. Wir waren schlagartig heimatlos, Staatenlose. Als sich der Schock gelegt hatte, wandten wir uns ans britische Innenministerium und erhielten dann britische Pässe. So konnten wir wenigsten unseren Beruf weiter ausüben. Heute träume ich davon, daß die Manhattan Brothers eines Tages nach Südafrika zurückkehren werden, um dort noch einmal aufzutreten.

Ist die Gruppe heute noch ein Begriff in Südafrika?

Die Schallplattenfirma ließ uns fallen. Im Radio wurden wir nicht mehr gespielt. Deshalb sind wir dort nach 40 Jahren fast vollständig vergessen. Für die Alten wie Nelson Mandela, der ein Fan der Manhattan Brothers war, sind wir natürlich immer noch ein Begriff. Als er nach seiner Freilassung ins Wembley Stadium nach London kam, waren wir dabei. Aber von den Jungen kennt uns niemand mehr. Es kostete mich viel Arbeit und ich musste an viele Türen klopfen, um ausstehende Tantiemen einzutreiben, Rechtsansprüche geltend zu machen. Das war schwierig, weil man uns nie Verträge gegeben hatte. Und alle Leute, mit denen ich damals zu tun hatte, sind heute tot. Niemand wusste irgendetwas von mir. Ich kam mir wie ein Gespenst vor. Es war, als ob es uns nie gegeben hätte. Ich musste neun Jahre lang kämpfen, bis meine Ansprüche anerkannt wurden.

The Manhattan Brothers: „The Very Best of the Manhattan Brothers – Their greatest Hits (1948 – 1959)“ (Stern’s Africa/eastwest)

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