Eine Scheibe Nordsee, bitte

Schneller wissen, wann Ebbe und Flut ist: Kieler Biologe entwickelt neuen Tidenkalender im Hosentaschenformat  ■ Von Anke Baumann

Die erste deutsche Gezeitenrechenmaschine brauchte im Jahre 1915 zehn bis 15 Stunden, um das Hoch- und Niedrigwasser eines Jahres für einen Hafen zu errechnen. 85 Jahre später reicht ein kurzer Blick – auf den neuartigen Tidenkalender von Jürgen Wesseler. Der 46 Jahre alte Kieler Biologe hat seine Erfindung, von der Urlauber und Wassersportler profitieren können, zum Patent angemeldet.

Wesselers Gezeitenkalender ist etwas kleiner als eine Parkscheibe, sieht auch so ähnlich, nur hübscher, aus und kostet für sechs Monate 8,90 Mark. Auf einer ausklappbaren Karte der Nordseeküste sind die Tidenzonen mit verschiedenen Buchstaben gekennzeichnet. Die Kombination eines Buchstabens mit dem Datum auf der Vorderseite der Scheibe gibt Aufschluss über die Zeiten von Hoch- und Niedrigwasser für jeden Ort an der Deutschen Nordseeküste über einen Zeitraum von sechs Monaten.

Was jetzt ganz einfach aussieht, ist das Ergebnis langer, mühevoller Entwicklungsarbeit. Zahlreiche Skizzen und Vorentwürfe zeugen von der Arbeit von drei Jahren. „Mit einem herkömmlichen Tidenkalender muss man erst einmal ein biss-chen rechnen, ehe man für die Position, an der man sich befindet, Hochwasser oder Niedrigwasser raushat. Das fand ich doch recht kompliziert“, erklärt der passionierte Segler die Motivation für seine Erfindung, „meine Idee war, die Tidenbewegung an der Küste entlang auf einer Skala darzustellen, die man dann auf einen Blick ablesen kann.“

Wesseler verweist auf die vielen Einflüsse, die Sonne, Mond und Sterne auf die Gezeiten haben, und die die Entwicklung einer solchen Skala erschweren. „Nachdem ich dieses Modell gemacht hatte“, sagt er und hebt ein Vorläufer-Exemplar mit drei gegeneinander verschiebbaren Drehscheiben hoch, „kannte ich endlich das Prinzip, nach dem die Tabelle funktioniert. Das war ein erhebender Moment.“ Ab jetzt bestand die Kunst „nur“ noch darin, das Modell zu vereinfachen.

Wesseler ist klar, dass es Konkurrenz gibt. In den Badeorten werden Tide-Tabellen häufig kostenlos ausgegeben und die Wassersportler nutzen den Gezeitenkalender des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Doch der Erfinder ist sicher, dass Urlauber, Segler und Surfer die bessere Übersichtlichkeit gegenüber herkömmlichen Gezeitenkalendern würdigen werden. Wolfgang Lange, Leiter des Sachgebiets Gezeitenvorhersage des BSH, teilt diese Einschätzung: „Für den professionellen Gebrauch ist die Tidenscheibe nicht exakt genug. Aber für Urlauber oder Wassersportler ist das doch eine wunderbare Sache.“

Der Tidenkalender ist erhältlich in Buchhandlungen und Naturschutzzentren in größeren Küstenorten.