: Kein Job für Anfänger
Täglich die Katastrophe verhindern: Wer Schiffe auf der Elbe lotsen will, muss jahrelange Erfahrung als Kapitän mitbringen. Eine Fahrt von Hamburg nach Brunsbüttel begleitete ■ Sylvia Massow
Langsam entfernt sich die „Artic Ocean“ vom Hamburger Burchardkai. Hafenlotse Norbert Wiske überwacht auf der Brücke jede Handbewegung von Kapitän Klaus-Wilhelm Urban. Urban ist zwar nach wie vor verantwortlich für sein Schiff, aber der Lotse steht ihm als „ortskundiger Berater“ zur Seite.
Vorsichtig tastet der Kapitän sich aus dem Parkhafen heraus. Er bewegt den Joystick-artigen Hebel, und schon schiebt sich die „Arctic Ocean“ nach links ins Fahrwasser. Mit einer Geschwindigkeit von zehn Knoten steuert Urban den Feeder – also einen Container-Verteiler und -zubringer – Richtung Blankenese elbabwärts. In der Höhe von Teufelsbrück löst ein Elblotse den Hafenlotsen ab und begleitet das Schiff weiter bis Brunsbüttel.
Als Wiske das Lotsenversetzboot in Teufelsbrück ablegen sieht, verlässt er die Brücke, klettert hinunter und wartet an der Reeling auf seine Ablösung. Die kleine orange-rote Barkasse kommt herangeschaukelt. Kapitän Urban verlangsamt die Fahrt. Zwei Elblotsen stehen sprungbereit auf einer kleinen Plattform. Der Steuermann der Barkasse versucht möglichst ruhig neben dem Feeder herzufahren. Dann springen die Lotsen mit einem Satz an Bord. Hafenlotse Wiske verlässt im Austausch das Schiff. Seine Arbeit ist getan. Kaum ist der fliegende Wechsel vollzogen, dreht das Versetzboot ab.
Auf der Brücke übernehmen nun Heiner Grübmeyer und der Lotsenanwärter Ingo Rieger das Steuer. Der 58-jährige Ausbilder fährt bereits seit 40 Jahren zur See, seit 22 Jahren lotst er Schiffe auf der Elbe. Sein Schüler ist mit 39 Jahren auch längst kein Unerfahrener mehr: Rieger ist schon seit 20 Jahren dabei, hat das Kapitänspatent. Nach einem halben Jahr Ausbildung und 100 Lotsungen wird er in die Lotsenbrüderschaft Elbe aufgenommen. Die meisten Elblotsen sind bei ihrer Einstellung zwischen 35 und 40 Jahren alt und bereits 15 Jahre lang zur See gefahren. Lotsen ist nichts für Anfänger.
„Wieviel Tiefgang haben wir?“, erkundigt sich Heiner Grübmeyer als erstes. Da der Feeder nur halb beladen sei, so Urban, liegt die „Arctic Ocean“, die nach Helsinki unterwegs ist, lediglich 6,30 Meter tief im Wasser. Aus dem Funkgerät quakt gleichzeitig eine Stimme in einem seltsamen deutsch-englischen Mischmasch. Erst die Wettervorhersage, danach Nachrichten über den Schiffsverkehr auf der Elbe.
Inzwischen hat die „Arctic Ocean“ das Hamburger Hafengebiet verlassen. „Wir befinden uns nun auf einer Bundeswasserstraße“, doziert Ausbilder Grübmeyer: „Die Bundesrepublik Deutschland ist somit verpflichtet, die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt zu gewährleisten.“
Mit einem Fernglas späht der Nachwuchslotse in die Ferne. Während der Fahrt müsse er sich ständig über die Position des Schiffes informieren, so der Altlotse. Dazu dienten Leuchtfeuer, Tonnen und markante Punkte am Ufer. Zwei vorausliegende Leuchtpunkte nimmt er sich als Orientierung, das so genannte Ober- und das Unterfeuer. Wenn er die beiden übereinander sehe, erklärt Grübmeyer, befinde sich sein Schiff genau auf der Richtfeuerlinie. Entlang dieser Linie betrage die Fahrrinnentiefe bei Niedrigwasser mindestens 14,4 Meter, bei Hochwasser 17,4 Meter. Für die „Arctic Ocean“ an diesem Tag also kein Problem.
„Die Arbeit mit den Lotsen klappt eigentlich sehr gut“, sagt der 62-jährige Kapitän Urban. Er fährt bereits seit 32 Jahren als Kapitän zur See. Die „Arctic Ocean“ ist Eigentum der Reederei Freese in Drochtersen und transportiert für die Firma Unifeeder Container zwischen Finnland und Hamburg hin und her. Nur an einen unangenehmen Zwischenfall kann sich der Kapitän erinnern: Vor einigen Jahren nahm er in Brunsbüttel einen Lotsen auf, dem offenbar die Größe des Schiffes nicht passte. „Was soll ich auf dem blöden Küstenmotorschiff“ habe der geschimpft. „Da habe ich gleich kehrt gemacht und ihn wieder abholen lassen“, lacht der Kapitän. Der Lotse sei nämlich verpflichtet, das ihm zugeteilte Boot zu lotsen, erklärt Grübmeyer. Tut er es nicht, wie in Urbans Fall, werde er von seinem Platz im Dienstplan gestrichen. Das bedeute für den Betreffenden einen Verdienstausfall und eine Strafe von 1000 Mark.
Dass die Zusammenarbeit mit den Kapitänen auch nicht immer einfach ist, erlebte der Elblotse schon persönlich: Als er mit einem russischen Tanker aus der Nord-Ostseekanalschleuse kam, hatte er sich bei regem Schiffsverkehr mit Kollegen per Funk abgesprochen und den Steuermann angewiesen, nach backbord zu fahren. Doch der Kapitän habe dem Steuermann auf russisch einen entgegengesetzten Befehl gegeben. „Als ich merkte, was da vor sich ging, musste ich massiv werden“ erinnert sich der Lotse.
Gerade mit einem Tanker könnte ein Unfall verheerende Folgen haben. „Unser Job ist es schließlich, Sicherheit zu garantieren“, betont Grübmeyer. Diesem Auftrag komme die Lotsenbrüderschaft Elbe sehr gut nach, ist der Lotse überzeugt: Bei 38.000 Lotsungen im Jahr liege die Unfallquote lediglich bei 0,02 Prozent. In anderen Ländern, die das Lotswesen privatisiert haben, habe es mehr Unfälle gegeben, so Wolfgang Leue, Ältermann der Lotsenbrüderschaft Elbe gegenüber der taz. Auch deswegen sei Vorsicht geboten, wenn jetzt versucht werde, die Arbeits- und Tarifbedingungen für Lotsen nach unten zu fahren (siehe Bericht unten).
Allmählich nähert sich die „Arctic Ocean“ Brunsbüttel. Für Heiner Grübmeyer und seinen Schüler ist dieser Auftrag hier beendet. Während der Kapitän den Feeder in die Kanalschleuse steuert, ist wieder ein Hafenlotse zuständig. Das Versetzboot „Kapitän Jürs“ kommt bei Windstärke sechs herangeschaukelt. Mit den Elblotsen an Bord kehrt es zur Brunsbütteler Lotsenstation zurück. Dort angekommen trägt sich Heiner Grübmeyer in die Dienstliste ein und muss warten, bis er wieder mal an die Reihe kommt: Dann lotst er ein anderes Schiff zurück nach Hamburg. Bis er dann den nächsten Auftrag bekommt, hat er im Durchschnitt ein bis zwei Tage Pause, muss aber rund um die Uhr erreichbar bleiben. Ein entspannter Feierabend sieht anders aus.
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