Heftiger Knatsch in Grosny

Moskaus Statthalter in Tschetschenien haben sehr unkonventionelle Vorstellungen von Zusammenarbeit. Die Zentrale konnte den Riss zwar kitten, doch nur vorübergehend

MOSKAU taz ■ Der eine ließ seine Leute des anderen Büro überfallen und beide organisieren Massendemonstrationen gegeneinander. Die beiden Führer der neuesten von Russland eingesetzten Marionettenregierung in Tschetschenien haben letzte Woche ihre, milde gesagt, unkonventionelle Auffassung von Zusammenarbeit wieder einmal unter Beweis gestellt.

Achmed Kadyrow, einst Mufti von Tschetschenien, war vor einigen Wochen von Moskau als Staatsoberhaupt des Berg- und Zwergstaates ernannt worden, weil man auf seine moralische Autorität als oberster geistlicher Führer hoffte. Vor vierzehn Tagen setzte ihm der Kreml dann als zweiten Mann ausgerechnet Bislan Gantamirow in den Pelz, einen für alle am tschetschenischen Konflikt beteiligten Seiten ausgewiesenen Verbrecher. Er hatte nämlich 1995/96 als Oberbürgermeister von Grosny die von Moskau zum Wiederaufbau dieser Stadt bestimmten Dollarmillionen beiseite geschafft.

Letzten Mittwoch unternahm der persönliche Beauftragte des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Region, Viktor Kasantsew, einen Versuch, die beiden zu versöhnen. Anlass: Gantamirow hatte am Dienstag 200 seiner bewaffneten Gefolgsleute den Befehl gegeben, Kadyrows Verwaltungszentrum zu durchsuchen, angeblich um herauszufinden, ob sich dort nicht irgendwelche Rebellen versteckten. Diese Aktion folgte in dem eskalierenden Konflikt zwischen den beiden Führern als Antwort darauf, dass Kadyrow einige Gantamirow-Spezis in der Stadtverwaltung der Hauptstadt Grosny gefeuert hatte.

Kurzfristig hat Kasantsew mit seiner Vermittlung Erfolg gehabt. Gantamirow gibt, wie es in den offiziellen Meldungen heißt, „seine Schuld zu“ und bekennt, dass der Überfall „nicht ganz richtig“ gewesen sei. Doch der Frieden wird nicht lange währen.

Gantamirow lässt sich offenbar von der zentralen Regierung nicht mehr so leicht abschütteln. Um in Tschetschenien wieder einzugreifen, wurde er letzten Herbst in Moskau extra aus dem Gefängnis entlassen, wo er eine Strafe für seine Unterschlagungen absaß. Er half den Russen anschließend, Grosny wieder zu erobern. Seit diesem Frühjahr hat er schon mehrmals als stellvertretendes Oberhaupt der in Tschetschenien eingesetzten Administration fungiert. Zweimal in diesem Jahr wurde Gantamirow auch zum Chef der tschetschenischen Polizei ernannt. Nach den Zusammenstößen dieser Woche stieß er eine Drohung aus, die in den Ohren Moskaus offenbar furchtbar klingt: Er wolle als Oberhaupt dieser Milizen abdanken und sie sich selbst überlassen. Dank der neuen Übereinkunft proklamierte Gantamirow nun, dass die Zahl der Mitarbeiter des tschetschenischen Innenministeriums auf 8.000 Mann erhöht werden soll.

Mittlerweile konnte Mufti Kadyrow auf dem Hauptplatz von Gudermes, der zweitgrößten Stadt Tschetscheniens, am selben Mittwoch, an dem sich die Versöhnung vollzog, immerhin anderthalbtausend Menschen zu einer Protestdemonstration gegen seinen Stellvertreter zusammentrommeln. Groteskerweise ziehen die dort Versammelten Gantamirow verfassungsfeindlichen Verhaltens. Dabei hat sich der hochstaplerische Ex-Bürgermeister von Grosny jahrelang auf Seiten der Föderalen befunden, die die Verfassung bei jedem Handstreich im Munde führen. Während der Mufti Kadyrow zur selben Zeit an dem nun wirklich mit der russischen Verfassung nicht zu vereinbarenden heiligen Krieg gegen die Zentralgewalt teilnahm.

Doch beide Statthalter haben qua Amt ihr eigenes Recht auf ein solides Stück vom föderalen Subventionskuchen und auf einen Anteil an allen möglichen internationalen Hilfsmitteln. Keiner von beiden möchte mit dem kleineren Kuchenstück auf dem Schlachtfeld zurückbleiben.

BARBARA KERNECK