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Ende eines Bürgerkriegssymbols

Das nordirische Gefängnis Long Kesh, wo tausende Terroristen und Paramilitärs einsaßen, wird von der britischen Regierung geleert und geschlossen. Ob man es „für alle Fälle“ aufbewahrt, zum Museum umwandelt oder abreißt, ist umstritten

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Offiziell heißt das Gelände „Her Majesty’s Prison The Maze“, doch weltbekannt wurde es unter dem Namen „Long Kesh“. Kein Bauwerk symbolisiert den politischen Konflikt in Nordirland stärker als das Gefangenenlager südlich von Belfast. Nun geht seine Geschichte zu Ende.

In den Siebzigerjahren saßen dort weit über 2.000 politische Gefangene ein. Am Wochenende waren es noch 96, bis zum kommenden Freitag werden 80 von ihnen freigelassen. Das ist eine Grundbedingung des nordirischen Friedensprozesses, darin sind sich die politischen Flügel der paramilitärischen Verbände beider Seiten einig.

Eine ganze Reihe der Abgeordneten im Belfaster Regionalparlament waren früher selbst Insassen in Long Kesh, darunter Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sowie Gerry Kelly, der 1983 einen Massenausbruch von IRA-Gefangenen organisierte. Auch David Ervine und Billy Hutchinson von der loyalistischen Progressive Unionist Party verbrachten viele Jahre darin.

Die britischen Konservativen haben gegen die Freilassungen protestiert. Andrew Hunter vom Nordirland-Ausschuss kritisierte, dass die britische Regierung nicht die Abgabe der Waffen durch die paramilitärischen Verbände zur Vorbedingung gemacht habe. Schließlich handle es sich bei den letzten noch verbliebenen Gefangenen durchweg um den harten Kern.

Gestern kam zum Beispiel Michael Stone frei, der 1988 bei der Beerdigung von drei IRA-Leuten, die vom britischen Geheimdienst in Gibraltar getötet worden waren, Granaten warf und in die Trauergemeinde schoss. Drei Menschen kamen ums Leben. Stone wurde zu 700 Jahren Haft verurteilt – fast so lange, wie der irische Konflikt bereits dauert.

Auch Torrens Knight ist seit gestern frei. Er hat elf Menschen umgebracht, indem er wahllos in katholische Kneipen feuerte. In Long Kesh wurde er zum wiedergeborenen Christen und will am Sonntag seine erste Predigt in Freiheit halten. Morgen kommt auch der IRA-Mann Sean Kelly frei, der 1993 einen Anschlag auf einen Fischladen in einem protestantischen Viertel Belfasts verübt hatte. Zehn Menschen wurden dabei getötet, darunter sein Mitattentäter.

Lediglich 16 Gefangene bleiben nach Freitag noch in Long Kesh, weil sie ihre Mindeststrafe von zwei Jahren noch nicht abgesessen haben. Zum Jahresende sollen sie ins benachbarte Magaberry-Gefängnis verlegt werden. Dann steht Long Kesh leer.

Früher gehörte das Gelände der Royal Air Force, die im Zweiten Weltkrieg dort ein Flugfeld unterhielt. Als die britische Regierung im August 1971 mit der Internierung von Menschen begann, die der IRA-Mitgliedschaft verdächtig waren, wurden auf dem Flugfeld Wellblechhütten aufgestellt, was das Gelände wie ein Kriegsgefangenenlager aussehen ließ. Und als Kriegsgefangene waren die Insassen auch anerkannt, bis 1976 genossen sie politischen Status. Dann änderte die damalige britische Labour-Regierung ihre Politik. Acht H-förmige Blocks wurden gebaut, in denen die verschiedenen Organisationen segregiert werden konnten. Später führte dies dazu, dass die einzelnen Blocks praktisch von den verschiedenen paramilitärischen Organisationen direkt kontrolliert wurden. Zunächst aber reagierten die Gefangenen auf den Entzug ihres politischen Status mit der Weigerung, Gefängniskleidung zu tragen, sie hüllten sich in Decken. Dieser Deckenstreik ging 1981 in einen Hungerstreik über, bei dem der während des Streiks ins britische Unterhaus gewählte IRA-Mann Bobby Sands und neun weitere Gefangene starben.

Was aus Long Kesh zum Jahresende werden soll, steht noch nicht fest. Die Gefängnisbehörde will es einmotten, für den Fall dass der Friedensprozess doch noch scheitern sollte. Einige Mitglieder der britischen Regierung würden die H-Blocks und Wellblechhütten dagegen am liebsten abreißen. Die Gefangenen sind sich einig: Mindestens ein Block soll als Museum erhalten bleiben. Sinn Féin will auch das Gefängniskrankenhaus bewahren, in dem die Hungerstreikenden von 1981 starben.

Hinweis:Katholiken und Protestanten wurden in „H-Blocks“ segregiert

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