: Jäger der fehlenden Monatsmiete
Caveh Zahedi und Greg Watkins zeigen in ihren Real-Life-Filmen dünne Großstadtneurotiker auf Gottessuche und eine Familienfeier auf Ecstasy. Das Eiszeit-Kino widmet den beiden Independent-Regisseuren eine kleine Werkschau
Der Wunsch nach Authentizität ist ein charmanter Anachronismus des Indie-Films, und wahrscheinlich sind seine niedrigen Budgets die beste und wahrscheinlich sogar einzige Chance, einem frischen, unverfälschten Realismus möglichst nah zu kommen. „A Little Stiff“ (1991), der erste gemeinsame Film des Autorenduos Caveh Zahedi und Greg Watkins, denen das Eiszeit-Kino momentan eine kleine Werkschau widmet, ist unter diesem Gesichtspunkt allerdings nur theoretisch interessant: Die nette Beziehungskomödie ist ein romantisches Patchwork aus wahren Begegnungen, tatsächlichen Selbstzweifeln und echten Tränen. Gedreht mit Real-Life-Charakteren (wie alle Zahedi/Watkins-Filme), ist „A Little Stiff“, wie der Titel schon andeutet, auch formal etwas steif geraten. Mit seiner rohen Direktheit erzwingen sie allerdings eine direkte Konfrontation mit ihren einfachen Bildern, und das sieht man heutzutage doch gern und vor allem viel zu selten.
„I don’t hate Las Vegas anymore“ (1994) ist dagegen der blanke Wahnsinn. Im Stile des Cinéma verité „erzählt“ die chaotische Real-Life-Dokumentation von der Familienreunions-Weihnachtsreise von Caveh, seinem Bruder Ali und ihrem Vater Amin nach Las Vegas. Eine brüllende Groteske, spätestens ab dem Moment, in dem Caveh – immer auch auf der Suche nach Gott (ein weiterer roter Faden in seinem Oeuvre) – versucht, sich und seine zerstrittene Familie mit einem Ecstasy-Trip wieder auf einen gemeinsamen Erkenntnisstand zu bringen. Die Konstruktion dieses absurden Plots offenbart Zahedis Schizophrenie im Umgang mit dem Wirklichkeitsbegriff.
„I don’t hate Las Vegas anymore“ ist ein kleines Metaebenen-Wunderwerk, dessen einzelne Schichten sich nur schwer gegeneinander auflösen lassen: eine reale Familiengeschichte, verfilmt mit den echten Familienmitgliedern, die im Film jedoch andere Namen tragen, wird mit eindeutig dokumentarischen Absichten „inszeniert“ (sic!); kurz: Die echten Familienmitglieder spielen Rollen, die irgendwie doch sie selbst sind.
Zahedis und Watkins’ bisher letzter Film „A Sign of God“ (1999) ist schließlich die Quintessenz der angestrebten Verschränkungen von Realität/Film, Gott/Schicksal, Manie/Pedanterie etc. Hier schält sich auch endgültig ein Charakterzug heraus, der in Zahedis bisherigen „Rollen“ angedeutet war: der chronisch erfolglose Großstadtneurotiker, ständig von Selbstzweifeln geplagt und zerrissen von philosophischen Grundsatzdebatten. Ein Westentaschen-Woody-Allen in einem Körper, der aussieht wie der von Steve Buscemi: Schon von ihrer äußeren Erscheinung taugen diese „white, skinny and weird looking guys“ zum geborenen Loser.
Zahedis Erkenntnis, dass alles Geschehene Gottes Werk ist und jeder Unfall nur Teil einer höheren Ordnung, ist natürlich kein religiöses Spinnertum, sondern ein sehr konkreter sozialer Schutzmechanismus. Die Welt des Spätkapitalismus ist für hoffnungslose Träumer wie Zahedi, dessen eigene reale Filmografie voll ist von gescheiterten Projekten, einfach nicht geschaffen, der harte Konkurrenzkampf im Zeichen von Clintons „New Economy“ vollzieht sich in einem Tempo, dem sie nicht folgen können. Darum ist ihr Scheitern immer schon vorprogrammiert.
Cavehs Jagd nach den fehlenden 3.000 Dollar Monatsmiete ist also nur sekundär ein dramaturgisches Mittel; es ist vor allem ein existenzieller Überlebenskampf innerhalb eines sozialen Regelwerks, das alles Soziale absorbiert hat. Dass Zahedi in allen seinen Filmen letztlich doch immer mehr Moderator seines eigenen Lebens als Schauspieler/Regisseur eines fiktiven Films ist, zeigt sich in der Schlussszene von „A Sign of God“ am deutlichsten: Da tritt er aus der Spielfilmhandlung heraus vor die Kamera, um den schlimmsten Tag seines Lebens zu kommentieren. Er weiß, da draußen sind mehr, die ihn verstehen.ANDREAS BUSCHE
Filme von Greg Watkins und Caveh Zahedi, Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen