: Troja, die Liebe und Österreich heute
Die Salzburger Festspiele eröffneten mit „Les Troyens“ von Berlioz unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Dazu kamen aus Paris Boykott-Aufrufe, die die Fernsehübertragung der Eröffnungspremiere durch Arte verhindern wollten
Eine dunkle Wolke hängt heuer über dem Horizont des Salzburger Sommer-Landes. Im fernen Paris haben einige Intellektuelle, der Schriftsteller Philippe Olivier, der als Musikwissenschaftler agierende Wagner-Urenkel Gottfried und Jean Kahn, der Vorsitzende des Zentralrats der jüdischen Gemeinden in Frankreich, zum Boykott einer Fernsehübertragung der Salzburger Eröffnungspremiere aufgerufen.
Der deutsch-französische Kultur-Kanal Arte möge Herbert Wernickes Berlioz-Inszenierung keinesfalls übertragen, um die Republik Österreich politisch und gesellschaftlich in Europa noch weiter zu isolieren. Außerdem sei das von Vergils Aeneis inspirierte Historienstück aus dem 19. Jahrhundert das „zweifelhafte Epos eines angeblich von der Vorsehung gesandten Herrschers und Gründers einer vorgeblich unvergänglichen Weltordnung“.
Der Verdacht, der Bühnenbildner und Regisseur Herbert Wernicke könne sich im Verbund mit dem scheidenden Festspiel-Impressario Gérard Mortier zum Steigbügelhalter eines „von der Vorsehung gesandten“ Gründers einer „unvergänglichen Weltordnung“ namens Jörg Haider machen, ist so infam wie absurd. Wernicke verließ die Bundesrepublik in den Siebzigerjahren, weil er dort im Gefolge der Terroristen-Fahndung fatale Tendenzen am Werk sah. Und Mortier hat sich nicht minder deutlich gegen die schwarz-blaue Koalitionsregierung in Wien erklärt. Er verlässt, wie er sagt, wegen ihr das Salzburger Festspiel-Direktorium.
Dass die Pariser Anmutungen auf internationaler Ebene diskutiert und nicht als Wichtigtuerei abgetan werden, gab dem Kärtner Landeshauptmann denn auch Gelegenheit gleichzuziehen: Er halte „die Bestrebungen Frankreichs, als Avantgarde und ‚besseres Volk‘ die Europäische Gemeinschaft anzuführen, für den Beginn einer Fehlentwicklung, wie wir ihn bereits aus dem deutschen und italienischen Faschismus kennen“.
Fast möchte man denken, dass über alldem politischen Geklapper und Geplapper die Kunst unter der Hohensalzburg in den Hintergrund getreten wäre. Das aber war mitnichten der Fall. Denn nach einem orientalisch-abendländischen Konzert-Appetithappen kam schon das erste gewaltige Hauptstück: „Les Troyens“, das Riesenwerk vom Untergang Ilions, der Afrika-Mission des halbgöttlichen Aenas und seiner Raufbolde sowie deren Aufbruch nach Italien. Die in manchem nicht ganz unproblematische Partitur wurde in den pittoresken und drastisch gebündelten Partien höchst lebendig, selbst in den himmlischen (oder höllischen) Längen der Musik und auf dramatischen Durststrecken höchst konzentriert geboten vom Orchestre de Paris unter Leitung von Sylvain Cambreling. Langeweile, die bei diesem erst hundert Jahre nach dem Tod von Berlioz zu öffentlicher Geltung gelangten Werk allenthalben befürchtet wird, kam in den viereinhalb Musikstunden keinen Augenblick auf.
Das lag zu gleichen Teilen an der intensiven Musizierweise und an der Inszenierung. Verklammert wurden die unterschiedlichen Gefilde der Musik durch die Wagner-Heroine Deborah Polaskik, die mit Verve die nervensägende Seherin Kassandra bestreitet, dann nicht weniger überzeugend als karthagische Königin Dido erscheint. Polaskik, scharf und dominant in den imposanten Höhen, gelangen anrührend warme Töne der Klage über den Fall der Vaterstadt und eine sanfte erotische Sehnsucht von wahrhaft majestätischer Noblesse. Und Jon Villars, der stattliche, zunächst etwas gehemmt wirkende Aeneas, schwingt sich als ihr Gegenspieler und Partner zu einer ebenso bemerkenswerten Spitzenleistung auf.
Herbert Wernicke hat seine Ausstattung aus einer einzigen Bild-Idee heraus entwickelt. Er ließ ein großes Halbrund bauen: eine schlichte weiße Mauer, welche den Innenraum der belagerten Trojaner einschließt, ihren Jubel über den Abzug der Griechen und die Aufhebung des Kriegszustandes, die Warnungen der Schreckschraube Kassandra und die unmittelbar von Tod und Verderben bedrohten trojanischen Frauen. Die Kostüme deuten an, dass sie die handelnden und leidenden Personen von heute sind, zugleich aber archaische Gestalten blieben: mit Fackeln und Dolchen ebenso bewaffnet wie mit Maschinenpistolen und Flugzeugen. Ein schmaler hoher Schlitz erlaubt den Ausblick in die Weite: durch ihn wird ein Blick auf einen abgeschossenen Marschflugkörper möglich, auf das vorbeigezogene legendäre Holzpferd und auf die brennende Stadt. Der glatte Mamorboden bricht auf: aus der tiefen Spalte singt der Geist Hektors – seine Handlungsanweisung an Aeneas und die große Prophezeiung, dieser werde das ewige Rom gründen.
Die Bruchlinie zeigt auch Zerstörungs- und Verstörungsgrade im Stück an. Wernicke zeigt den Krieg und die Berlioz’sche Begeisterung fürs Militärische als Bedrohung, alle höheren Herrschaftsambitionen als blutigen Aberwitz und den großen Staatsgründungsauftrag als Zumutung, die alle – und vornan Aeneas – überfordert. Die extreme politische Rechte in Europa, die manche durch das Salzburger Troja-Projekt insgeheim gestärkt sehen wollten, wird an Wernickes Anti-Kriegs-Trojade wenig Freude haben. FRIEDER REININGHAUS
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