Die Bösen und die Dummen

Im deutschen Feuilleton hat der Computer immer noch einen schweren Stand. Vielleicht läutet er das Ende der Zivilisation ein. Auch wenn es nicht ganz so schlimm ausgeht, ist er nicht menschlich genug

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Deutschlehrer sind noch nicht vergessen, die uns vor den Computern gewarnt haben. In den Feuilletons seriöser Zeitungen allerdings kommen sie kaum noch zu Wort, seit kein Kongress mehr ohne die Mahnung an die Schulen zu Ende geht, endlich mehr Computer anzuschaffen. Doch dann kam Bill Joy und gab allen Recht, die am Sinn dieses Erziehungsauftrags zweifelten. Joy, der Chefprogrammierer bei Sun Microsystems, musste es ja wissen. Er hatte vor über 20 Jahren die „Berkeley“-Version des damals schon fossilen Betriebssystems Unix entwickelt und war zuletzt als Vordenker von „Jini“, der erweiterten Version des Programmkonzepts Java, hervorgetreten. Damit, so ließ er sich begeistert vernehmen, könnte schon bald jede halbwegs intelligente Maschine mit jeder anderen halbwegs intelligenten Maschine kommunizieren.

Die Idee scheint Joy so sehr überzeugt zu haben, dass er es mit der Angst zu tun bekam. Er veröffentlichte im Magazin „Wired“ einen langen Text unter der Überschrift: „Warum die Zukunft uns nicht braucht“. Umgehend druckte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Feuilleton nach. Was bei „Wired“, dem Magazin der Technofetischisten, eine fröhliche Provokation war, geriet in diesem Kontext zum konservativen Manifest. Joy sieht ein Welt heraufziehen, in der sich die Informatik mit der Nanotechnik und Genetik verschworen hat zum Bau vom Mikromaschinen, die sich entweder jeder menschlichen Kontrolle entziehen und mit darwinistischer Überlegenheit alle anderen Arten auf dem Planeten verdrängen oder aber in den Händen einer Minderheit zur gefährlichsten Waffe werden, die jemals die Menschheit bedroht hat.

Nun gibt Joy zwar selbst zu, dass er zeit seines Lebens nie das Gefühl gehabt habe, mit denkenden Maschinen zu arbeiten. Seine Apokalypse steht unter der Prämisse, „dass es den Computerwissenschaftlern gelingt, Maschinen zu bauen, die alles besser können als Menschen“, wie es gleich zu Anfang des Textes heißt. Nichts spricht dafür, dass diese Annahme jemals zutrifft, am wenigsten das Internet. Sein vor allem kommerzieller Erfolg hat nicht die Fusion von Biologie und Kybernetik auf das Forschungsprogramm gesetzt, sondern eine möglichst effektive Kooperation von Maschinen und Menschen. Die nächste Generation der Internettechnik wird die Bedienungsoberflächen verbessern, und dass dabei die alten Konzepte der künstlichen Intelligenz hilfreich sind, muss zumindest bezweifelt werden. Darum aber geht es Joy gar nicht. Sein Text ist das autobiografische Bekenntnis eines philosophierenden Ingenieurs über seine Ängste und Hoffnungen, die mal mit Gene Rodenberrys Star-Trek-Saga, mal mit dem Unabomber-Manifest oder auch mit Nietzsche verbunden sind.

Auf der Unix- und Linux-Heimatseite im Web, www.slashdot.com lebt die Debatte um die Bekehrung des Gründervaters weiter, für die FAZ hätte sie mangels Substanz beendet sein können. Doch letzten Samstag holte die Zeitung zum zweiten Schlag wider die Computerei aus. Zum Zeugen aufgerufen war nun Jaron Lanier, eine Legende auch er, freilich auf einem Gebiet, für das sich die FAZ bisher kaum je begeistert hat. Lanier ist Musiker, Terry Riley, Philip Glass und Ornette Coleman arbeiteten mit ihm, der schon vor bald dreißig Jahren mit elektronischen Experimenten aller Art begonnen hatte, musikalischen und grafischen. Angeblich soll Lanier den Begriff „virtuelle Realität“ erfunden haben, von ihm stammen die ersten „Avatare“, unsere digitalen Stellvertreter in Computernetzen.

„Das neue Package“ heißt der Beitrag, den die FAZ in Deutsch abdruckt, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, auch das Wort „Package“ zu übersetzen. So fällt nicht sogleich auf, wie schlecht Laniers Argumente zu Bill Joys Sittengemälde passen. Lanier glaubt an übermenschliche Computer, er beklagt vielmehr, dass die Software immer noch erbärmlich hinter den logischen Möglichkeiten der Hardware herhinkt. „Die Distanz zwischen den idealen Computern, die wir uns in unseren Gedankenexperimenten vorstellen, und den realen Computern, die wir auf die Welt loslassen, könnte nicht bitterer sein“, schreibt er. Daher der Titel „Package“, der auf den Fachslang anspielt: Der Fortschritt der Computertechnik ist für Lanier nichts weiter als eine Folge von „Fixpacks“, also von Reparaturen an einem verkorksten Programm. Vor allem Joys Unix scheint ihn so geärgert zu haben, dass er es ausdrücklich erwähnt.

Das Netz macht schlau

Was nun? Sind sie zu dumm oder zu gefährlich für uns, die Computer? Laniers Pointe ist origineller als Joys Sittengemälde. Er meint, dass wir uns inzwischen so sehr an die schlechte Software gewöhnt haben, dass wir selbst so dumm wie Computer werden. Allein aus diesem Grund werde demnächst eine Maschine Alan Turings berühmten Test tatsächlich bestehen.

Was aber folgte daraus? Ganz sicher widerlegt wäre Bill Joys Angst vor einer Evolution der Computer. Laniers Maschinen sind so dumm, dass sie fast jeder biologischen Art der Erde unterlegen wären. Nun hatte aber Turing gar nicht nach der Intelligenz von Maschinen oder Menschen gesucht. Sein Test versucht lediglich eine Antwort auf die Frage zu geben, was menschliches Verstehen vom bloßen Reagieren auf Signale unterscheidet. In dem Augenblick, so lautet sein Argument, in dem ein Mensch nicht mehr unterscheiden kann, ob er mit einer Maschine oder einem anderen Menschen spricht, hätten wir keinen Grund mehr anzunehmen, dass Verstehen etwas anderes als ein Prozess sei, den auch eine Maschine ausführen kann.

Gewiss könnten wir in diesem Fall ein ganzes Kapitel der abendländischen Philosophie zu den Akten legen, um uns hinfort nur noch mit algorithmischen Modellen des Bewusstseins zu beschäftigen. Für den Zustand der Welt jedoch wäre damit gar nichts gesagt, und zweifellos kennt auch Lanier diese Grenze seiner eleganten Polemik sehr genau. Es geht ihm keineswegs darum, uns vor den Computern zu warnen, er möchte andere haben, die so gut sind, dass einem Bill Joy angst und bange wird.

Eines aber verbindet beide. Wie Joy leidet auch Lanier an der häufig beobachtbaren Blindheit von Erfindern für den tatsächlichen Erfolg ihrer Erfindungen. Ganz so wie geträumt war es nicht, und seltsam vergrätzt nehmen die Pioniere kaum zur Kenntnis, welche Wirkungen der Computer allein in den bloß 30 Jahren hervorgebracht hat, in denen das Internet zu seiner heutigen Größe heranwuchs. Ein paar Millionen von ziemlich dummen, aber im Netz verbundenen Maschinen mit lausiger Software von Bill Joy (bestenfalls) sind dabei, ganze Weltkonzerne auf den Kopf zu stellen. Offenbar machen sie uns nicht dumm, sondern anspruchsvoll. Das Wissen, das sie ihren Anwendern erschließen, muss organisiert werden. Nicht der Zusammenbrch der menschlichen Zivilisation steht damit bevor, sondern lediglich die Eroberung völlig neuartiger Geschäftsfelder.

niklaus@taz.de