Im Norden mehr Zwangsarbeit

Bundesweit erste wissenschaftliche Datensammlung in Schleswig-Holstein vorgestellt

KIEL dpa ■ Landwirtschaft und Rüstungsindustrie haben am stärksten von Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg profitiert. Zu diesem Ergebnis kommt ein wissenschaftliches Gutachten des Instituts für Regional- und Zeitgeschichte der Flensburger Universität, das gestern in Kiel vorgestellt wurde.

Gestützt auf Archive und auf Daten der Allgemeinen Ortskrankenkasse Schleswig-Holstein sowie des Roten Kreuzes erhoben die Professoren Uwe Danker und Robert Bohn erstmals präzise Daten für eine Region. Dabei kamen sie auf etwa 225.000 während der NS-Zeit in Schleswig-Holstein beschäftigte „Fremdarbeiter“, Kriegsgefangene und ausländische Häftlinge aus Konzentrationslagern. Im damaligen Reich wird mit etwa 8 Millionen gerechnet. Nach Angaben der Wissenschaftler wurden im Norden wesentlich mehr Ausländer als im Reichsdurchschnitt beschäftigt.

Die mit Abstand stärkste Gruppe bildeten 1944 etwa 57.000 so genannte Ostarbeiter aus der Sowjetunion, gefolgt von etwa 37.000 Arbeitskräften polnischer Nationalität sowie 11.000 Franzosen. Etwa 46 Prozent wurden in der Landwirtschaft, rund 35 Prozent in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Im öffentlichen Dienst – mit Reichsbahn, Gaswerken oder Dienstleistungen – waren ungefähr 10 Prozent beschäftigt. Das zeige, so die Autoren, „dass die öffentliche Hand selbst durchaus nennenswert von Zwangsarbeit profitierte“.

Mit Blick auf die Entschädigungsdebatte stellten die Autoren fest, dass – nach Zahlen aus einem beispielhaft ausgewählten Kreis – 38,7 Prozent der Zwangsarbeiter aus den Jahrgängen 1920 bis 1929 stammten. Sie wären heute also zwischen 71 und 80 Jahre alt.

Eine „eindeutige Tendenz“ ergibt sich nach Ansicht der Wissenschaftler aus Zahlen über zehn zufällig ausgesuchte Dörfer: 80 bis 95 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe beschäftigten ausländische Arbeitskräfte. „Für den Bereich der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft gilt“, so Danker, „dass die Beschäftigung von Fremdarbeitern während des Zweiten Weltkrieges die stark überwiegende Norm, die Nichtbeschäftigung von Ausländern die seltene Ausnahme darstellte.“