berliner szenen: Turnen im MIR-Modul
Asthma im All
Asthmatikerinnen können keine Astronautinnen werden. Das war eine der schlimmsten Nachrichten meines jugendlichen Lebens. Aber jetzt können sich Asthmatikerinnen wenigstens mal kurz wie Kosmonautinnen fühlen.
Das Trainingsmodul der Raumstation MIR, eine 33 Meter lange Büchse, steht seit Wochen im Russischen Haus an der Friedrichstraße, und für wenig Rubel kann man rein. Drinnen ist es schummrig und riecht nach Schweiß – mit etwas Fantasie nach russischem Kosmonautenschweiß und nicht nach den Ausdünstungen der wenigen Besucher, die hereingestolpert kommen. Vorne, wo ein Schild „bitte nicht betreten“ fordert, sind zwei winzig kleine Stühlchen an den Boden geschraubt. Hier sitzen also der Steuer-Kosmonaut und sein Co-Kosmonaut und seufzen, weil schon wieder maschin kaputnik.
Das ganze Modul steht schräg. Man schwankt über den mit grauen Decken ausgelegten Boden und hält sich an den vielen Haltestangen fest, die wie in einer Seniorenbadewanne an die Wände geschraubt sind – sicher in das MIR-Modul, und sicher wieder heraus. An einer Seite wurde der Esstisch festgeschraubt, wieder mit Kinderstühlchen, und an der Wand ein vor Kabeln starrendes Metallding mit einem Schildchen „Salat“. Kabelsalat.
Im Cockpit leuchten grüne Schalter, wahrscheinlich russische Fehlermeldungen. Unter der laut sirrenden Ecklampe das klitzekleine Klo, und in einem Schrank mit kyrillischen Buchstaben mysteriös bedruckte, riesige Tuben – gibt es ein Zahnpastaproblem im All? Worüber unterhält man sich wohl in einer solchen Zwangs-WG? Ob es einen Putzplan gibt? Ob man sich als Kosmonaut beim Pinkeln setzen muss, wenn man schwebt?
Neben dem Badloch das lederne Laufband mit Blick aufs All, momentan kann man aus dem Bullauge eine Ecke des Ausstellungsraumes sehen, in der etwas Rostiges lehnt, das entweder eine Skulptur von Charles Wilp ist oder ein Stück von der echten MIR sein muss. Eine klitzekleine Ruhe-Ecke mit Stehbett ist genau neben die Nasszelle gebaut. Und hier schnallen sich bei Besuchsexpeditionen bis zu sechs Personen gleichzeitig fest!
103 Kosmo- und AstronautInnen waren seit 1986 auf der Station, darunter „Deutschland: 2 Personen“. Am längsten am Stück haben es von den Männern Juri Romanenko (366 Tage und Nächte, 11 Stunden, 38 Minuten) und von den Frauen Shannen Lucid (188 Tage und Nächte, 23 Stunden, 0 Minuten) ausgehalten. Kann man sich richtig vorstellen, wie Frau Lucid nach 188 Tagen und 23 Stunden zu dem an der Decke Rad fahrenden, bärtigen Juri und dem schwebend irgendwas am Cockpit reparierenden Igor sagt: „Ich bleib hier keine Minute länger! Ich will endlich wieder im Liegen schlafen!“. Aber Spaß macht’s bestimmt trotzdem. Scheiß-Asthma. JENNI ZYLKA
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