: Freitag, 14 Uhr. Unter Geiern
Pausenlos piepst es am Nachbartisch. Autos rollen heran. Jeeps und Kombis. Was treiben Handy-Vertreter im thüringischen Altenburg? Ein Bericht aus dem Gebiet 22
Manch einer fragt sich, wo denn all die schönen Millionen und Milliarden sind, die der reiche Westen in den ewig nassauernden Osten gepumpt hat. Antwort: auf dem Rückweg. Größtenteils vollzählig, der Rest kommt bestimmt bald nach. Manch einer fragt uns, woher wir das wissen. Nächste Antwort: Wir waren im Osten. Wir haben die Rückpumper gesehen.
Es war in Altenburg, der Stadt des deutschen Skatgerichts, auf der Terrasse des Hotels am Rossplan, hoch über der Fußgängerzone. Dort unten versprechen Schilder „Wir piercen zu super Preisen!“, und die Menschen glauben es gern. Perforiert hausen sie in Thüringen.
Wir verabreichten uns Klöße, am Nebentisch saßen zwei Herren, die unserer Nahrung recht ähnlich sahen. Ein blasser Grauer, vom Leben und einem schlechten Schneider gezeichnet, den Bauchriemen zierten ein Handy und ein Schlüsselbund. Sein Kumpan war deutlich jünger und gequollener, er trug am Leibe F.D.P. (dunkler Dreiteiler, blaues Hemd, gelbe Krawatte) und Wetgel überm Stiernacken, blätterte schnaufend in dicken Ordnern und grunzte in sein Handy. Zahlen, Prozente, Abschlüsse.
Je leerer unsere Teller, desto voller der Nebentisch. Nach und nach treffen sie ein: seltsam kompakte, wie verschalte Menschen zumeist männlichen Geschlechts, die ihre Körper in uniforme Dreiteiler oder bunte Schlagersängerjacketts gezwängt haben, was sie in ihrem Glauben bestärkt, gut angezogen zu sein. Wer ankommt, muss melden. „Und?“, fragt der Stiernacken.
„Zwo Callya und ein Classic!“ Der Stiernacken notiert, der Graue nickt. Ein anderer hat drei Callya und zwei Fun: „Da staunste, Olli, ne?“ Der Stiernacken staunt aber nicht. Er ist der Olli, und Olli grunzt und notiert und sagt: „Mensch, bis fuffzähn Uhr muss gemeldet wärn. Wo sinnen die ondärn?“ Es ist Freitag, 14 Uhr, und in einer Stunde müssen die Wochenwerte an die Zentrale durchgegeben sein. Ollis Leute klopfen Verträge. Sie reisen über Land und schwatzen den Ossis, die es zu weit zum nächsten Handyshop haben, Zweijahresverträge auf. Fun, Classic, Premium. Wie sie’s brauchen.
Ein Twingo schwirrt an und entleert eine Frau in Rot. „Ah, die Mandy!“ Olli will die Werte, sofort. Aber Mandy hat nix. Nüscht. Es hat nicht geklappt. „Mensch, haste schon wieder den Vertroch versaut“, nimmt Olli aufrichtig Anteil und macht ihr klar, was Sache ist: „Du und der Ingo, ihr seid jetzt 40 Punkte auseinander. Das konnste noch packen, wennde dich nächste Woche ronhältst!“ Zum Vergnügen aller muss sich Mandy vor der Rotte noch einmal ausführlich selbst demütigen. Wie sie es geschafft hat, den Vertrag zu versauen.
Stimmung kommt auf. Ingo strahlt, und sein Nachbar berichtet geiernd, wie er gestern von einem Opfer vom Hof gejagt wurde: „Der hat bei mir’n Classic geschrieben und dann erst gemerkt, dass das was anderes is, dass er jetzt noch’n Handy hat. Zusätzlich zu seim D 1!“ Haa-hua-hua-hua! Was ein Idiot! Ingo telefoniert und weiß dann Bescheid: „Der Marco kommt gleich, der ist gerade dabei, den Fun zu schreiben.“ Olli grunzt gefällig und notiert. So muss es laufen. „Mit dem Fun sinns fümmndreißich, Herr Gillhaus!“, meldet er stolz dem Grauen. Das ist der Gebietsleiter. Er lenkt die Brut und ist’s zufrieden. Lächelt. So schöpft man die Gewinne wieder ab, die die Ossis mit der Einheit gemacht haben. Dafür kriegen sie Handys, mit denen sie sich zum Sunshine-Tarif die Pegelstände ihrer Verschuldung durchgeben können. Oder neue Perforationserfolge.
Pausenlos piepsen nun Handys und, wie immer, wenn sie Botokuden gehören: in Melodien. Autos rollen an. Jeeps und Kombis. Je mehr kommen, desto auffälliger die Sichselbstgleichheit deutscher Dealer. Gülden blitzt der Binder, Gel ist Ehrensache, die Schuppen gibt’s gratis. Das meinte die Merkel, als sie von Markt und Menschen sprach. Gewieher und Gelächter, Schulterklopfen, dass die Schuppen nur so vom Kragen fallen. Uaha-ha-ha-ha. Wieder zwei rumgekriegt, die erst nicht wollten. Die sind soooo doof, hua-hahaha!
Ein Audi TT quietscht um die Ecke und erbricht einen weiteren F.D.P.-Dreiteiler. Aber der ist nicht gut drauf. „Nullrunde!“ meldet er und feuert die Kippe altenburgabwärts. Uuuah-ha-ha, der Maik! Typisch. „Einer hatte schon ausgefüllt, aber nicht unterschrieben, der Arsch!“ „Tja, Maik, deine Punkte konnste heften“, feixt Olli. Da kann sich der Maik mal mit der Mandy drüber unterhalten. Fünfzehn Uhr, Olli gibt die Zahlen durch: „Ja, Gebiet 22! Siebzähn Fun, sieben Callya und ölf Classic! Wie?!? Ölf! Öööölf Classic!“ Kein Zweifel – Olli ist aus’m Osten, denn er kann die Zahl zwischen zehn und zwölf nicht aussprechen. Die Drecksarbeit sollen die Ossis gefälligst selbst machen. Dafür eignen sich die eigenen Landsleute immer noch am besten. Denen vertraut man. Sind ja Ossis. Unsrige. Keine arroganten Besserwessis. Öööölf!
Dann rumpelt es, Stühle werden geschoben und Körper erhoben. Der Graue nickt mit dem Kopf. „Ich glaube, das war für uns eine jute Woche“, fasst Gebietsdirektor Gillhaus die Woche gut zusammen und nestelt am Schlüsselbund. Selbstverständlich spricht er rheinisch, alles andere wäre ja noch schöner. „Und nun, meine Herrschaften, jehnmer mal rein und schaun mal, wo wir nächste Woche aktiv werden.“ Sie schwärmen nach innen, der Spuk ist vorbei.
Die Geier ziehn weiter. OLIVER MARIA SCHMITT
Hinweis:Er lächelt zufrieden. So schöpft man die Gewinne wieder ab, die die Ossis mit der Einheit gemacht haben
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen