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Weltbank-Tagung im Visier

Beim September-Gipfel von IWF und Weltbank in Prag werden die Straßen heiß umkämpft sein: 50.000 Demonstranten erwartet. Neuer IWF-Chef Horst Köhler zur Visite bei Václav Havel

aus Prag ULRIKE BRAUN

Gestern flog der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Horst Köhler, zu einem Besuch des tschechischen Präsidenten Václav Havel nach Prag, um die Jahrestagung von IWF und Weltbank vorzubereiten. Er war im Mai dieses Jahres gekürt worden, nach langem Streit zwischen den USA und Europa und nachdem der Wunschkandidat der Bundesregierung, Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser, bei den anderen Industrieländern nicht die erforderliche breite Zustimmung gewonnen hatte. Beim Gipfel in Prag will Köhler nun sein Reformprogramm für den IWF vorstellen.

Ein Schwerpunkt seiner Gespräche mit Havel dürfte der zu erwartende Protest auf den Prager Straßen werden. Schließlich hatte die Vorsitzende der Organisation Jubilee 2000, Ann Pettifore, schon gewarnt: Seattle sei nur das Vorspiel gewesen. Bei der Jahrestagung wollen die Gegner klotzen und nicht kleckern. Sie seien so tief enttäuscht von den Ergebnissen zum Schuldenerlass der G-8-Tagung im japanischen Okinawa, dass sie dieser Frustration in Prag freien Lauf lassen würden. In Okinawa selbst war es ruhig – die Ruhe vor dem Sturm?

Anstelle der bisher geschätzten 20.000 Demonstranten zum Gipfel, der offiziell am 20. September beginnt, erwartet das tschechische Innenministerium inzwischen über doppelt so viele. Schuld daran seien die G8, die sich in Okinawa wieder erfolgreich herausgeredet hätten, Dritte-Welt-Ländern ihre Schulden zu erlassen: „Das trägt zur Mobilisierung von vielen tausend mehr als bisher erwartet bei“, prognostiziert Pettifore. So wird wohl nichts aus dem Traum von Präsident Václav Havel, IWF-Vertretern und Globalisierungsgegnern den Geist der Verständigung einzuhauchen, zu dem Prag, wie Havel meinte, doch geradezu prädestiniert sei.

Stattdessen plant das Innenministerium, 11.000 Polizisten bereitzustellen, und hat die Kollegen vom Verteidigungsressort ersucht, eventuell auch die Armee einsatzbereit zu halten. Die sollen aber, so Innenminister Stanislav Gross in einem Interview in der tschechischen Tageszeitung Lidove noviny, nicht durch Gewaltbereitschaft auffallen, sondern nur „rasant“ und „im Rahmen des Gesetzes“ eingreifen.

Eingesetzt werde die Truppe wohl besonders am 26. September, denn der wurde von den Globalisierungsgegnern zum Demo-Day erklärt. Die größte der vielen geplanten Demonstrationen und Blockaden soll genau an diesem Tag im Prager Zentrum stattfinden. Jetzt weiß McDonald’s wenigstens schon mal, für wann es den Glaser bestellen muss.

Die Bewohner der Hauptstadt werden durch Flugblätter aufgeklärt,wie sie sich am besten den Demonstranten und am sichersten den Polizisten gegenüber verhalten sollten: Maul halten und weiterlaufen, weder diskutieren noch widersprechen.

Offen ist noch, wer für die teuren Sicherheitsvorkehrungen zahlen soll. Der Etat von 935 Millionen Kronen (gut 51 Millionen Mark), den das Innenministerium für die Sicherheit der Banker, Bürger und Politiker veranschlagt hat, wird dem Druck derGlobalisierungsgegner nicht standhalten. Jetzt plant Prag, den IWF um einen kleinen Zuschuss zu bitten: 50 Millionen Kronen fehlen noch, musste der Regierungsbeauftragte für die Tagung, Zdenek Hruby, zugeben.

Wenigstens macht sich das Prager Innenministerium auch Gedanken um das Wohl der Demonstranten: Nach langem Hin und Her, wer für eventuelle Schäden aufkommen soll, hat das Ministerium vom Magistrat der Stadt das Strahov-Stadion in der Nähe der Prager Burg hoch über der Stadt für ihre Unterbringung gemietet. Nicht dass sich die Tschechen von Chile haben inspirieren lassen, wo bei Pinochets Rechtsputsch 1973 Tausende Oppositionelle in ein Stadion eingesperrt und gefoltert wurden: Im Stadion soll eine Zeltstadt entstehen, in der sich bis zu 11.000 der erwarteten 50.000 Demonstranten gegen eine Gebühr von umgerechnet etwa 75 Mark für die Dauer ihrer Mission an der Moldau einquartieren können.

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