: 14 Kilometer ins Paradies
Die Einreisewelle aus Marokko über die gefährliche Meerenge von Gibraltar nimmt zu. Allein in diesem Jahr starben dabei 37 Menschen
MADRID taz ■ Zerwühltes Haar, zerfetzte Bluse, völlig aufgeweichte Hosen und Schuhe – das Bild der letzten angespülten Toten am Strand des Urlaubsparadieses Tarifa ging durch Spaniens Presse. Wie 37 andere in diesem Jahr hat die junge Schwarzafrikanerin den Traum von Europa mit dem Leben bezahlt. Nur 14 Kilometer trennen Arm und Reich, doch die Meerenge von Gibraltar ist mit ihren Strömungen und plötzlichen Wetterwechseln gefährlich.
Trotzdem übersteigt die Zahl derer, die aus Afrika kommend Andalusiens Küsten erreichten und dort festgenommen wurden, bis Ende Juli mit 6.537 bereits jetzt die 5.492 aus dem gesamten Vorjahr. 25.000 weitere Kandidaten für die gefährliche, nächtliche Überfahrt in Pateras – kleinen Holzbooten mit Außenbordern – sollen sich in Nordmarokko aufhalten. Diesen Sommer vergeht kein Tag, an dem die Küstenwache der spanischen Guardia Civil nicht über 100 Einwanderer festnimmt. „Immer weniger kommen durch, denn die Meerenge von Gibraltar ist mittlerweile sehr gut überwacht“, sagt Pepe Villahoz, Sprecher einer Bürgerinitiative, und rechnet vor: „Auf jede der 38 gefunden Leichen kommen mindestens noch einmal zwischen 20 und 30 weitere Tote. So viele passen in eine Patera.“ Viele der Boote kentern bereits kurz nach der Abfahrt in Marokko. Und dort halten die Behörden die Statistiken geheim. Für die letzten Jahre geht Algeciras Acoge von je 1.000 Verschollenen aus. Dieses Jahr sind es nach seiner Rechnung bereits zwischen 800 und 900.
Die Immigranten kommen nach Angaben von Enrique Fernández Mirinda, dem spanischen Regierungsbeauftragten für Einwanderung, aus immer mehr Ländern. Waren es anfänglich fast ausschließlich Marokkaner und Algerier, suchen in den letzten Jahren bedingt durch Krieg und Krisen immer mehr Menschen aus West- und Zentralafrika den Weg nach Europa. Der größte Markt für die Schlepper ist nach wie vor Marokko selbst. 75 Prozent der Marokkaner würde laut einer Umfrage gerne das Land verlassen. Dass dieser Wunsch auch vor denen nicht Halt macht, die einen Job haben, musste einer der bekanntesten marokkanischen Filmemacher, Mohammed Ismail, diesen Monat erfahren. Er drehte mit dutzenden von Statisten an der Meerenge von Gibraltar einen Film über illegale Einwanderer in Europa. 70 von ihnen setzten sich über Nacht auf die andere Seite ab.
Bis zu 3.000 Mark kostet die Überfahrt mit der Patera. Wer mehr hinblättert, wird in einem Lkw oder in einem Fährschiff versteckt. Auch die Weiterreise kann gebucht werden. Für marokkanische Emigranten gibt es mittlerweile sogar eine Art Kreditsystem. Die Reise wird nur angezahlt. Der Rest wird dann von Spanien aus beglichen. Wer denkt, er kann dort seinen Gläubigern entwischen, hat sich getäuscht. In den letzten Monaten gingen der spanischen Polizei mehrere Marokkaner ins Netz, die Schuldner ganz einfach entführten.
Unter dem Druck der EU beginnen inzwischen die nordafrikanischen Länder, Schwarzafrikaner abzuschieben. 3.504 waren es nach amtlichen Angaben in Algerien alleine in den ersten sechs Monaten. Marokkos Behörden melden 17.178 an der Nordgrenze Festgenommene im Jahr 1998.
REINER WANDLER
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