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Kräftiger als die Jungspunde

■ Die rebellische kubanische Boygroup Charanga Forever in der Fabrik Kubas Senior des Son Compay Segundo lehrt frostigen Hamburgern einmal mehr die Freuden des Rentnerdaseins

Woher der Grandseigneur des Son die Energie nimmt, noch im hohen Alter ausgedehnte Tourneen zu absolvieren, kann er selbst nicht erklären. „Sobald ich das 'armonico' in die Hand nehme, ist alle Müdigkeit verflogen,“ bekennt Compay Segundo schmunzelnd. Doch das „armonico“ ist keine Wunderpille, die sich so mancher weniger rüstige 70jährige einpfeifen kann, um noch einmal das Tanzbein zu schwingen, sondern ein Instrument. Ein von Compay selbst gebauter Zwitter zwischen einer Gitarre und einem kubanischen tres mit einem unverwechselbaren Klang.

Mit dem „armonico“ und einem breiten Lächeln, die brennende Zigarre in der Hand, tänzelt der 92jährige über die Bühnen der Welt, als wäre das nichts. Ein Hüftschwung nach links, einer nach rechts, und auf den Punkt setzt das vierköpfige Ensemble seiner Muchachos ein. Ob eine Guajira, ein Son, Bolero oder eine der neueren flamencolastigen Nummern – Compay versteht sein Publikum in Fahrt zu bringen, sogar frostige Deutsche. Dann fühlt er sich als Botschafter der kubanischen Musik und seine Augen beginnen zu leuchten.

Musik ist für den charmanten Greis der zentrale Lebensinhalt. In Havanna, in der Wohnung seines Sohnes Salvador Repilado, der zu seinen Muchachos gehört, tüftelt er an neuen Nummern. Ab und zu fährt der lebenslustige Rentner auch in sein Haus in Santiago de Cuba, der Hauptstadt des Son, trifft sich mit alten Kumpels und lässt sich inspirieren. Dort, in der legendären Casa de la Trova, dem Tempel des Son, hat er auch seine musikalische Wiedergeburt gefeiert. Ende der 80-Jahre war es, als Francisco Repilado, so sein bürgerlicher Name, nach über zwanzig Jahren an der Seite von Eliades Ochoa wieder ein Konzert gab. Dazu musste ihn Ochoa zwar lange überreden, aber gelohnt hat sich die Hartnäckigkeit des Bandleaders des Cuarteto Patria allemal.

Seitdem hat Compay seine Lebensfreude wieder gefunden, das Rentnerdasein an den Nagel gehängt und ist auch öfter wieder in der Casa zu finden. Dort verbrachte er auch seinen 90. Geburtstag mit allem, was Rang und Namen hat am kubanischen Son-Firnament. Für Juan de Marcos Gonzaléz, Bandleader der Afro Cuban All Stars, ist der Lebemann Compay Segundo „ein unglaublicher Fall – ein Phänomen, das mit 92 immer noch kräftiger ist als wir Jungspunde.“

Knut Henkel

Compay Segundo y sus muchachos, Frank Emilio Flynn & his All-Stars feat. Tata Guines, William Rubalcaba & Cachaito, morgen, 19 Uhr, Stadtpark

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