: „Am Nervenzusammenbruch“
Hamburgs neues Elternbeitragsgesetz und die Folgen: Eine kinderreiche Familie wird zum Höchstsatzzahler für Kita-Plätze ■ Von Kaija Kutter
Leben mit Kindern in der Großstadt Hamburg ist ein Vabanquespiel. Kaum haben sich die jungen Familien gegründet, werden die Wohnungen zu klein. Auch ist es für Kleinkinder in der verkehrsreichen City zu gefährlich. Da entscheiden sich nicht wenige für einen Umzug, und – in Zeiten, in denen Zinsen niedrig sind und staatliche Förderung winkt – für den Kauf des eigenen Heims.
So erging es auch vor zwei Jahren der Familie Wiethuechter. Die Räume in der Zwei-Zimmer-Wohnung in Ottensen wurden zu klein, als das dritte Kind, Laurids, zur Welt kam. Ein Jahr lang suchte die fünfköpfige Familie nach einer Alternative im Hamburger Raum. „Eigentlich wollte ich nichts Eigenes kaufen, aber als mir die Hamburger Wohnungsbaukreditanstalt vorrechnete, dass es finanzierbar ist, habe ich mich anders entschieden“, berichtet Frankmartin Wietheuchter.
Seit einem Jahr nun ist er stolzer Besitzer eines Endreihenhauses in der Neubausiedlung Rahlstedter Höhe. Die Finanzierung ist knallhart kalkuliert. Die 4500 Mark Baukindergeld, die das Quintett ebenso wie die 5000 Mark Eigenheimzulage nun acht Jahre lang von Staat bezieht, werden zur Abzahlung der Kredite benötigt. Wiet-huechter: „Das Geld gehört der Bank.“ Nach Abzug der Wohn-kosten bleiben der Familie monatlich knapp 3000 Mark zum Leben. „Genug“, wie die Wohnungsbaukreditanstalt bei einer eigens angestellten „Belastungsrechnung“ befand, bevor sie grünes Licht für ihren Kredit erteilte.
Was man den Wiethuechters nicht erzählte, war, dass im August diesen Jahres ein neues Elternbeitragsgesetz gültig wird, welches die Eigenheimzulage bei der Berechnung der Kindergartengebühren voll mit anrechnet. Wiethuechters, die bisher den Mindestsatz von 80 Mark zahlten, werden Höchstsatzzahler. „Ich war nahe am Nervenzusammenbruch, als ich vom Jugendamt zurückkam“, erinnert sich der studierte Theologe. Als Programmierer bei einer Softwarefirma im Norden Hamburgs verdient er an sich nicht schlecht. „Nach Abzug aller Kosten leben wir nun am absoluten Minimun. Dabei leisten wir uns noch nicht mal ein Auto.“
Die 300 Mark, die Wiethuechters ab September für den 4-Stunden-Platz ihrer Tochter Josefine (4) zahlen müssen – die 8-jährige Lena geht bereits zur Schule –, belasten das Budget erheblich. Kommt Sohn Laurids hinzu, sind es 400 Mark, sollte Mutter Martina halbtags arbeiten, bräuchte sie eine 6-Stunden-Betreuung: Dann sind es 800 Mark, die als Elterneigenanteil an die Stadt zu zahlen sind.
„Aus wirtschaftlichen Gründen muss in Hamburg kein Kind auf den Besuch einer Kindertageseinrichtung verzichten“, heißt es in der Hochglanzbroschüre, die das neue Gesetz anpreist. Bleibt ja die Chance einer Härtefallprüfung, bei der Miet- und Wohnkosten berücksichtigt werden. Aber auch hier konnte die zuständige Sachbearbeiterin nicht weiterhelfen. Berechnet man die Wohnkosten voll mit ein, liegt die Familie nur mit 100 Mark über der Einkommensgrenze für Sozialhilfe. Die Sachbearbeiterin darf aber nur „angemessene“ Wohn-kosten berücksichtigen, die in diesem Fall 30 Prozent des Nettoeinkommen nicht übersteigen dürfen. Sprich: gut 1000 Mark der realen Kosten werden einfach ignoriert.
Hätten die Wietheuchters ihr Häuschen gemietet, könnten sie nun kündigen und nach einer Bleibe suchen, die nach den Kriterien des Gesetzgebers billig genug ist. Häuslekäufer sind aber vertraglich über Jahre gebunden.
„Ich bin wütend“, bilanziert Wiethuechter. „Immerhin habe ich diesen Senat mit gewählt.“ Er würde gern über Internet mit anderen Betroffenen ins Gespräch kommen, sucht nach Tipps, wie er sich wehren kann (EMail: Frankmartin.wiethuechter@gmx.de).
Immerhin, von einer Konsequenz haben die Wiethuechters nach reiflicher Überlegung abgesehen: Sie melden ihre Tochter nicht im Kindergarten ab. Anders die Nachbarn. Die schicken ihr Kind künftig zur Vorschule, weil die nichts kostet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen