Wut und Wellblech

No more Pop: In dem brasilianischen Dokumentarfilm „The little Prince’s Rap against the Wicked Souls“ schlägt das Ghetto mit HipHop zurück

von ANDREAS BUSCHE

Die Slums der Dritte-Welt- und Schwellenländer sind die Müllkippen der globalen Finanzmärkte im 21. Jahrhundert. Überproduziert, abgeladen, nicht entsorgt. Das Menschenmaterial, das sich an den Rändern der Metropolen wie ein wild wucherndes Geschwür anlagert, fällt mitunter auch durch das subjektive Raster der Sozialstatistiken. Irgendwann wurde einfach mit dem Zählen aufgehört. In Paulo Calda und Marcelo Lunas Dokumentation „The Little Prince’s Rap against the Wicked Souls“ ist der Flug über die Wellblechlandschaften der Außenbezirke der brasilianischen Millionenstadt Recife die apokalyptische Totale, die den in der Popkultur bis zur Wertlosigkeit überstrapazierten Begriff des Ghettos wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Hier wurde wie in John Carpenters „Die Klapperschlange“ eine (imaginäre) Mauer aufgebaut, innerhalb der der Abfall der Gesellschaft sich gnadenlos selbst überlassen bleibt. Eine perfide Subsidiaritätswirtschaft als postzivilisatorisches Survivaltraining. Die Vergessenen reagieren auf diese Ökonomie der Ausgrenzung mit aggressiver Abgrenzung. „Niemand, der hier nichts verloren hat, wird sich in unser Gebiet begeben“, ist eine der zentralen Aussagen des Films. Man hat sich seinen eigenen archaischen Rechtsraum geschaffen; ein sozialer und politischer Krisenherd, dem die Polizei hilf- und vor allem verständnislos gegenübersteht. Der titelgebende kleine Prinz ist in diesem Katastrophengebiet so etwas wie eine Mutter Teresa des geschliffenen Wortes, ein Streetworker mit „Rhythm and Poetry“.

HipHop hat in den brasilianischen Slums wieder die Funktion übernommen, die er in den Ghettos der amerikanischen Großstädte inne hatte, bevor er vom Warenzyklus der Kulturindustrie assimiliert wurde: als „CNN für Schwarze“ (Public Enemys Chuck D) und Sprachrohr der Unterprevilegierten. José Alexandre Santos de Oliviera ist natürlich ein hoffnungsloser Träumer, wenn er davon erzählt, wie er mit HipHop aufklärerisch gegen Drogen und Gewalt und für ein politisches Bewusstsein agitiert.

Aber wie erfrischend wirkt sein ungebrochener Optimismus im Gegenschnitt zu den paramilitärischen Patrouillen, die im Interview unmissverständlich klarmachen, dass sie ihre Community mit allen Mitteln vor den „Wicked Souls“ schützen werden. Oder dem 22-jährigen Helio José Luliz Selho, wegen 44 Morden zu 99 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Killer „zum Wohle der Gesellschaft“, der sein Territorium gegen weiße Ausbeuter und Störenfriede von außen verteidigt und von den Bewohnern wie ein Robin Hood verehrt wird (seit er im Knast sitzt, hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe in seiner Hood prompt vermehrt).

HipHop bleibt in diesem Szenario für viele tatsächlich das einzige verlässliche Medium. Während HipHop in US-Filmen wie „Black and White“ längst als Statussymbol eines schwarzen Erfolgsmodells gehandelt wird, befindet er sich in den Elendsvierteln von Recife noch im Urzustand: einfachste politische Formen, keine Kodierungen, jede Menge Krach. Die Stakkato-Metrik der Rapper gibt den unsteten Lebensrhythmus in den Ghettos vor, und die Regisseure Calda und Luna greifen diese Rhythmusmuster formal für ihren Film auf. Im Anbetracht der für einen Außenstehenden kaum nachvollziehbaren Lebenssituation sind die direkten, intuitiven Bilder das Ehrlichste, was man als Dokumentarfilmer leisten kann, will man nicht wie im US-amerikanischen Kino in blinde Gangland-Nostalgie oder zynischen Sozialkitsch verfallen.

Die hysterische Verzweiflung in dieser Sackgasse findet keine adäquate Sprache oder Erklärungsmodelle, sie braucht starke Symbole: Santos de Oliviera trägt auf den Rücken tätowiert die Köpfe von Martin Luther King, Malcolm X und Ché Guevara mit sich. Drei Leitbilder, deren Kämpfe sich eigentlich kaum miteinander kurzschließen lassen. Diese Krise hat nun mal keine einfachen Lösungen parat. Aber einer wird’s schon richten.

„The Little Prince’s Rap against the Wicked Souls“. Regie: Paulo Caldas und Mercelo Luna. 75 Min. Eiszeit Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg