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Mehr Auslauf für Zweibeiner

Die seit vier Wochen verschärfte Hundeverordnung hat das Stadtbild verändert. Die meisten fühlen sich sicherer. Hundehalter haben sich zurückgezogen. Die Polizei hat ihre Kontrollen schon reduziert

von BERT SCHULZ und MAJA SCHUSTER

Selten haben Haustiere für eine solche Hysterie gesorgt und selten hat der Senat eine solche Blitzreaktion gezeigt. Seit vier Wochen gilt die verschärfte Hundeverordnung, die unter anderem Maulkörbe und Leinenzwang für zwölf Hunderassen vorschreibt. Und selten hat eine Debatte dermaßen schnell die Stimmung in der Stadt geändert: Die neuen Regeln werden generell begrüßt. Außer von vielen Hundehaltern, die sich nun diskriminiert fühlen. Die Kampfhunde selbst sind scheinbar vom Erdboden verschluckt.

Das hat auch die Polizei bemerkt. Schon nach einer Woche reduzierte sie ihre rasch gebildeten Interventionsteams von acht auf zwei. Der Bedarf sei einfach nicht mehr gegeben, da sich die „Bürger einsichtig zeigen und an die neue Verordnung halten“, so ein Polizeisprecher.

Die Veterinärämter der Bezirke haben dafür umso mehr zu tun: Die Telefone seien heißgelaufen, berichtet Anita Nebe, amtliche Tierärztin beim Veterinäramt Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Bisweilen sei die Lage „chaotisch“ gewesen. Immer wieder sei es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen Amtsmitarbeitern und Hundebesitzern gekommen.

Für die Sprecherin des Tierheims Lankwitz, Claudia Pfister, war die neue Verordnung ein „Schnellschuss“. Der Senat habe sich keine Gedanken über die Auswirkungen gemacht. Täglich würden im Heim bis zu vier Kampfhunde abgegeben, berichtet sie. Das Heim sei am Ende seiner Kapazitäten. Der Senat müsse klären, wo die Tiere hinkommen, fordert Pfister. Einschläfern wolle man die Tiere nicht. Das ginge auch nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses.

Mit Sorge beobachtet sie auch den Stimmungswandel zwischen Hundebesitzern und Menschen ohne Haustier. „Die Situation ist aufgeheizt, teilweise hysterisch“, meint Pfister. Hundehalter würden auf offener Straße angegriffen, auch von Giftködern habe sie schon gehört. Die Stimmung sei dabei auf beiden Seiten „aggressiv“.

Betroffen ist zum Beispiel Susanne Bruse. Die Hundehalterin ist auf die Morgenstunden ausgewichen, um mit ihrem Schäferhundmischling durch den Humboldthain zu spazieren. „Man wird angeschaut, als ob man die Pest hätte“, berichtet sie. Eine Bekannte von ihr seien sogar als „Kindermörderin“ tituliert worden. Während vor der Verordnung Kinder Angst vor den Hunden hatte, scheint jetzt die Angst der Halter vor den Familien zu überwiegen. Kampfhunde sieht man im Humboldthain kaum noch, berichtet eine weitere Halterin. „Die Halter trauen sich nicht mehr raus“, meint sie.

Gar als „Bürgerin dritter Klasse“ sieht sich Corinna Nötzold, Besitzerin eines Bullterriers, seit der Umsetzung der Hundeverordnung. Sie ist eine der ersten Berlinerinnen, die die grüne Plakette für ihr Tier bekommen hat. Insgesamt 490 Mark zahlte die Hundetrainerin dafür.Trotzdem müsse sie ihrem Hund weiterhin einen nicht artgerechten Maulkorb anlegen, schimpft sie.

Insgesamt wird die Neuregelung aber wohlwollend aufgenommen. Denn die meisten Befragten fühlen sich nun auf der Straße sicherer. Gerade auf Spielplätzen und an anderen Orten, wo sich Kinder aufhalten, sei ein Leinenzwang für Kampfhunde unverzichtbar, so der Tenor. Manche wollen den Leinenzwang auf alle Hunde ausdehnen. „Man weiß doch nicht, ob so ein Zierpudel beißt“, gibt der 46-jährige Armin Bender zu bedenken. Er hätte permanent Angst, wenn Hunde ohne Leine liefen. Die 20-jährige Sophie Geohargi steht dem kritischer gegenüber. Sie ist gegen einen generellen Leinenzwang. Bei Kampfhunden sei sie über die Leine froh, auch wenn sie meint, dass man Kampfhunde auch zähmen könne.

„Das Stadtbild hat sich positiv verändert“, bilanzierte gestern erfreut Regina Kneiding, stellvertretende Sprecherin der Gesundheitssenatorin. Die Verordnung werde von der überwiegenden Mehrheit der Halter befolgt. „Wir hören immer wieder, dass sich die Bevölkerung viel sicherer fühlt.“

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