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Viel Sand und Feingefühl

■ Fahren, aber vor allem mit viel Fingerspitzengefühl bremsen, müssen die zukünftigen Bremer StraßenbahnfahrerInnen lernen / Eine Tour mit Fahrprobe durch die Hansestadt

Vom offiziellen Namen – Fahrschule – hält Hubert Steher nicht allzu viel. Für den Ausbilder ist das mehr eine Brems-Schule. Schließlich fahren Straßenbahnen fast von ganz allein. Nur beim Bremsen – da wird die Arbeit zur Kunst. „Wir transportieren ja keine Kartoffelsäcke“, sagt er seinen SchülerInnen. Von denen er sich punktgenaue, sanfte Stopps wünscht.

Nichts schwerer als das. Den Tonnen-Kolloss Tram mit dem doppelt langen Bremsweg haltestellengerecht zu stoppen, ist anfangs vermutlich so unmöglich wie einen Lkw rückwärts einzuparken. In der linken Hand nur die Kurbel, die Nancy heftig in den Bremsbereich drückt. Im Notfall gibt es rechts noch einen Hebel, der Sand vor die Räder schüttet. „Nur ein paar Körnchen, für mehr Reibung auf regenglatten Gleisen.“ Und wenn man den Hebel ganz runterwuchtet, zieht endlich auch die Schienenbremse. „Nur für den Notfall“, mahnt Steher, der im Geiste schon die Passagiere durch den Wagen fliegen sieht.

Nancy lernt seit sechs Wochen und bremst inzwischen sanft und prompt. Eigentlich ist sie Elektrikerin bei der BSAG. Jetzt lernt sie Straßenbahn fahren. Nicht weil das ihr Traumberuf ist, sondern weil ihr Unternehmen mehr Leute im Fahrdienst braucht. In fünf Wochen wird sie Linie fahren. Und zum ersten mal ganze Stoßtrupps von fragenden klagenden Fahrgästen durch Bremen kutschieren. Ganz wohl ist der 19-Jährigen bei dem Gedanken noch nicht. Ein „richtiges Geschoss“, sagt sie zur Tram, die bis zu 70 Stundenkilometer powert.

Als Erstes vermisste Nancy vorne auf dem Fahrersitz das Brems- und Fußpedal. Dafür hat sie jetzt eine Kurbel in der Hand, mit der man sich anfangs die linke Schulter auskugeln könnte. „Der linke Arm ist mein ABS“, scherzt Fahrlehrer Steher dann. Auf dem Boden nur ein einziges kleines Pedal – für die Hupe. Was Nancy immer noch vermisst, sind Ausweichmöglichkeiten. „Keinen Millimeter kann ich damit zur Seite.“ Fast täglich parken Autos im Gleisbereich. Fast täglich mogelt sich ein Radfahrer vor die bremsschwache Tram. „Da kommt man ins Schwitzen.“ „Wir sind das größte Verkehrsmittel, trotzdem achtet kaum jemand auf uns“, befindet Steher über den Verkehr. Die sich für Frischlinge einigermaßen dramatisiert, weil man die Tram nicht ordentlich bremsen kann, und man alles aufs vorrausschauende Fahren setzen muss.

Und dann noch die alte Kurbel-Technik! Die modernen Wagen können fast von alleine fahren und bremsen. Keine Kurbel, Sand und Schienenbremse. „Das soll ganz schön toll sein“, meint Nancy. Gelernt wird trotzdem auf den alten Maschinen. Weil im Fuhrpark noch immer 61 Kurbel-Wagen stehen. Und weil man das Bremsen hier richtig lernen können soll.

In ein paar Wochen ist Prüfung. Theorie (über Starkstrom und sons-tige Straßenbahn-Elektrik) und natürlich Fahrpraxis. Die Tarife, Haltestellen, Weichen und Anschluss-Verbingungen hat Nancy inzwischen parat. „Das lernt man ganz nebenbei“ – nicht nur durch nächtelanges Blättern im Kursbuch.

Am liebsten fährt Nancy Linie 1. Da gibt es viele autofreie Gleisabschnitte, auf denen man richtig aufdrehen kann, ohne Engpässe wie im Viertel. Dafür passiert man allerdings den Bahnhof. „Keine Strecke ist wirklich ideal.“

Aber die Prüfung. „Hin und wieder fällt auch mal einer durch“, meint Steher, der inzwischen weit über 800 Fahrer aus- und fortgebildet hat. Am Ende winkt aber kein Führerschein, sondern eine „Betriebserlaubnis“. Und die gilt keinesfalls bundesweit, sondern nur von Stadt zu Stadt, von Straßenbahn-Unternehmen zu Straßenbahn-Unternehmen. Die BSAG-FahrerInnen zum Beispiel, die zur Expo 2000 entliehen wurden, mussten in Hannover nachgeschult werden. Das stört Nancy gar nicht. Wenn sie 21 Jahre alt ist, will sie auch Bus fahren lernen.

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