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Zocken beim Brötchenholen

Beim deutschen Derby in Mariendorf macht man sich Gedanken über den Weg aus der Misere im Trabersport und glaubt, ihn im Konzept eines italienischen Wettveranstalters gefunden zu haben. Das Schlüsselwort: Außenwetten

Wo man sich anderswo windet und mühsam vom eigentlichen Zweck des sportlichen Treibens ablenkt, gibt man sich beim Trabrennen erfrischend geradlinig. Die Meldung des Tages gilt nicht dem sportlichen, sondern dem finanziellen Rekord: „Wir haben am Freitag erstmals die Millionengrenze überschritten“, bilanzierte Mariendorfs Vorstand Hermann Gerbaulet freudestrahlend vor dem Stuten-Renntag am Samstag. Die Derby-Woche in Berlins Süden, die gestern mit dem Hengste-Derby ihren Höhepunkt und Abschluß fand, ist die größte Trabrennveranstaltung Deutschlands. Und weil es um den Sulky-Sport in der Republik nicht zum Besten steht ist, auch ein wichtiger Indikator für dessen Zustand und Zukunft.

Die Hauptrolle dabei spielen aber weder die Pferde, noch die Fahrer, sondern eindeutig das Geld. Geld, das die Wetter und Zocker aber erst einmal zur Kasse tragen müssen. Selbst wenn der Umsatz an den Mariendorfer Schaltern bis zum Freitagabend mit gut 3,5 Millionen Mark den Vorjahreswert um 18 Prozent übertroffen hatte, muss das aber nicht zwangsläufig ein gutes Zeichen sein. „Großereignisse sind nicht das Problem“, sagt Hans-Ludolf Matthiesen, Sprecher der deutschen Trabrennvereine, „das Problem ist, dass die Umsätze nächste Woche wieder auf 20 Prozent schrumpfen werden.“

Kein Wunder, meint Heinz Wewering – der Mann, der seit 1977 ununterbrochen den Goldhelm des deutschen Champions trägt und den nationalen Trabersport als Fahrer und Trainer auch als 50-Jähriger mühelos dominiert. Selbst der leidenschaftlichste Zocker komme nicht dreimal in der Woche nach Mariendorf. Was macht man also, wenn der Ausstoß einer Einnahmequelle seine natürlichen Grenzen erreicht hat? Man sucht nach neuen. Anzapfen soll diese Piero Orlando. Der Italiener ist derzeit in der Mission seines Arbeitgebers Sisal Autotote in Deutschland unterwegs, um den hiesigen Markt nach dem Vorbild seiner Heimat zu erschließen. Das Zauberwort und laut Wewering „einziger Weg aus der Misere“ heißt: Außenwetten.

Gemeint sind damit Agenturen, flächendeckend im Land angesiedelt, die per Fernsehen mit der Trabrennbahn verbunden sind. Leidenschaftliche Zocker aus dem Bayrischen Wald könnten somit zukünftig problemlos beim Brötchenholen auf Wewerings Pferde in Mariendorf setzen, das Rennen am Bildschirm verfolgen und den eventuellen Gewinn gleich mitnehmen.

Eine große Chance wittern hier alle, die mit Pferden Geld verdienen wollen – nicht zuletzt der italienische Investor. Rund 2.500 Agenturen will Sisal Autotote in den nächsten Jahren eröffnen. Die Agenturbetreiber sollen dabei monatliche Gebühren (490 Mark) bezahlen und erhalten dafür eine fünfprozentige Provision auf die Einnahmen. In Italien und den skandinavischen Ländern hat sich dieses System etabliert. Fast 80 Prozent aller Einnahmen werden dort an den Außenstellen eingenommen.

Solche Zahlen sind die große Hoffnung der Traber-Funktionäre. Für Stallbesitzer Michael Schroer aber auch eine große Gefahr: „Wir binden uns an Sisal und sind dann vollkommen voneinander abhängig. Wenn das mit den Außenwetten nicht funktioniert, ist der Trabrennsport endgültig tot.“ Der Mariendorfer Vorstand Gerbaulet dagegen ist fest davon überzeugt, über Sisal die Finanzierung des traditionsreichen Pferdesports langfristig zu sichern und dessen Image nebenbei aufzupolieren – Mariendorf will gesellschaftliches Ereignis für die neue upper class der Hauptstadt werden.

So weit reichen die Visionen von Wewering nicht. Der zweifache Weltmeister hatte am Wochenende vor allem kurzfristige Ziele, nämlich die Finals des Stuten-Derbys und des Hengste-Derbys. Das erste hat er verfehlt: Obwohl sein Pferd Herzblatt AS aus dem Stall von Alwin Schockemöhle hoch favorisiert war, strich die 150.000 Mark für den Finalsieg Jos P. C. Oorthuijsen auf der Außenseiterstute Ocarine Boshoeve ein.

HOLGER STRÖBEL

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