: Print Identitäten, multiple Identitäten und Pseudonyme
Auf Nachfrage oder, in Neudeutsch, als „Print on demand“ macht Mario Mentrup Deutschland mit dem AC-Mailand-Star Luther Blisset und dem Phänomen des Neoismus bekannt
Wo ein Wille ist, da ist auch ein Gebüsch. Oder in diesem Fall ein Verlag. Mario Mentrup, Ostfriese, Wahlberliner, okkasioneller Kino- und Fernsehschauspieler, Zeitungsautor und Mitglied einer mysteriösen Gruppe M, hat die Möglichkeit des digitalen „Print on demand“ genutzt, um seine Textesammlung „Print Identitäten“ herauszubringen.
Das auf Nachfrage gedruckte Buch handelt vom Neoismus, einer kunstgeschichtlichen Ente, die vom in Kanada entstandenen Begriff No-Ism abgeleitet ist und bis nach Großbritannien und Deutschland exportiert wurde. Was Neoismus ist, steht eigentlich in keinem der 28 Texte wirklich drin. Die Texte sind zwischen 1993 und 1999 entstanden und wurden zum großen Teil schon mal in diversen, mehr oder weniger obskuren Foren veröffentlicht, wie in der Tageszeitung Junge Welt oder dem unregelmäßig erscheinenden Terroristen-Fanzine Super!Bierfront.
Mentrup zitiert einen Neoisten, „das wandelnde Gesamtkunstwerk tent“: „Wenn Neoismus das ist, was er kreiert hat, oder das, was die Anti-Neoisten in ihm sehen, also das, was sie parodieren, wovon sie glauben, dass das Neoismus sei, dann besitzt Neoismus ein Spektrum, welches hoffentlich noch zu entdecken ist.“ Das bedeutet: Was Neoismus ist, liegt im Auge des Betrachters. Es geht nämlich nicht um die Inhalte der angeblichen Kunstrichtung, sondern um die Form der Wahrnehmung und Beschreibung.
Die Gruppe M, die ihre Mitglieder gerne mal als „Knilche, Knalltüten, Früchtchen und dergleichen“ bezeichnet, beweist mit den vielen pseudokunsttheoretischen Aussagen über die vorgebliche Kunstform Neoismus das „Blair Witch Project“-Prinzip: Wenn man etwas Nichtvorhandenes lange genug beschreibt, wird es wahr.
Unterhaltsam sind die Kapitel über die nihilistische Kunstform allemal. So listet etwa der britische Neoist Stewart Home in seinem „Ten-point guide to be a cult artist“ auf, wie man über „Plagiarism“, „Egoism“ und „Marry money“ zum erfolgreichen Künstler aufsteigt. Oder Mentrup selbst beschreibt in „Alles ist jedes“ das Aussehen von Neoisten: „Graf Haufen [...] trägt seit Jahrzehnten einen in unseren Breitengraden nur in Punk-Zeiten bewährten Sumo-Ringer-Haarschnitt“ und entwirft dabei beiläufig ein Bild der Off-Kunst-Szene in Berlin seit den 80er-Jahren, während Hanns Martin Slayer und Heinrich Dubel eine kleine Chronologie des Terorrismus anfertigen.
Apropos Slayer und Dubel: Nichts muss stimmen in einem Buch wie diesem, nicht mal die Namen. „Print Identitäten“ bedeutet multiple Identitäten, Pseudonyme, die die echten und manchmal auch die ohnehin angenommenen Künstlernamen der Beteiligten verschleiern. Oft weisen sich die AutorInnen gegenseitig Aussagen zu und antworten unter anderem Namen auf diese. „Stoppt Karen Elliot!“ fordert Mentrup in einer Kolumne über „multiple Namen“, Popmusik und die Sparks, und „Ich bin Karen Elliot“ heißt ein anderer Text von ihm, in dem er den Diskurs über die Neoisten quasi herbeischreibt. Die multiplen Namen Karen Elliot oder Luther Blisset, die sich wie eine unauffällige Schlange immer wieder durch die Texte winden, stehen für eine Gruppe von Scheinmenschen in Fabulierlaune.
Der wahre Luther Blisset übrigens, das erzählt der wahre Mario Mentrup im Interview, ist „ein jamaikanischer Fußballspieler, der vom AC Mailand für teures Geld eingekauft wurde und eine Saison lang nur auf der Bank saß“. Blisset weiß inzwischen um das Schindluder, das im fernen Deutschland und in Neoisten-Kreisen mit seinem Namen getrieben wird, scheint aber nichts dagegen zu haben. „Schreib das auf, das ist lustig!“, fordert der Herausgeber und Autor Mario Mentrup die Autorin dieser Zeilen auf.
Und dann erzählt er von seinen nächsten Projekten; ein Buch über Hochstapler könnte er sich vorstellen, wieder auf Nachfrage als Book on Demand ausgedruckt, wieder als absichtlich nicht differenzierte Vermischung von Wahrheit und Erdachtem. Von wem eine solch amüsante und mit ernstem Spaß an der Sache erstellte Sammlung eigentlich goutiert werden soll, klärt Mentrup in dem kleinen Vorwort zum Buch: „Diese mit Wahrheit und Lüge vollgespickten Texte wurden für populärkulturinteressierte, linke Kulturredaktionen verfasst, und ihr einziger Sinn war, mit ein paar fremden Ismen, Begriffen, Namen, Gerüchten und Querverweisen die Gefühle von jungen postmodern orientierten Antiquariats-Restposten-Käufern und alten, armen Moderne-orientierten Bibliotheksausweisbesitzern aufzumischen.“
Und: „Diese Sammlung und das ganze Unterfangen sind ein Witz.“ Aber immerhin ein guter.
JENNI ZYLKA
Mario Mentrup: „Print Identitäten“. Maas Verlag, Berlin 1999, 28 Mark, Ausdruck unter www.maasmedia.net
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