piwik no script img

Ein roter Star fürs Rote Rathaus

Die Berliner PDS will Gysi ins Rennen um die Diepgen-Nachfolge schicken, denn er könnte „die politischen Verhältnisse in der Bundeshauptstadt zum Tanzen bringen“. Bislang hat Gysi noch andere Pläne – aber gewählt wird ja auch erst 2004

von RALPH BOLLMANN

Schade, dass der Regierende Bürgermeister nicht direkt vom Volk gewählt wird. Sonst hätte Parteipromi Gregor Gysi, den die Berliner PDS am Wochenende als nächsten Spitzenkandidaten ins Gespräch brachte, den Job des Stadtoberhaupts fast schon in der Tasche. Eine Spitzenkandidatur des Rechtsanwalts könne „die politischen Verhältnisse in der Bundeshauptstadt zum Tanzen bringen“, frohlockt Carola Freundl, PDS-Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus – auch wenn sich der Umworbene selbst bedeckt hält: Gysis Lebensplanung sehe anders aus, formuliert wolkig der Pressesprecher der PDS-Bundestagsfraktion, an deren Spitze Gysi bis zum 2. Oktober noch amtiert.

Nach SPD-Mann Michael Naumann wird mit Gysi bereits zum zweiten Mal ein hochrangiger Bundespolitiker für eine Berliner Spitzenkandidatur ins Gespräch gebracht. Parteiübergreifend wird es den jeweiligen Landesverbänden offenbar nicht zugetraut, die Hauptstadt mit dem vorhandenen Personal überzeugend zu regieren. Einziger Unterschied: Während die Spitze der Landes-PDS selbst auf den Namen Gysi verfiel, reagieren die Sozialdemokraten auf jede Einmischung von außen allergisch. Auch gegen Gysi spricht nach Ansicht von SPD-Landesgeschäftsführer Ralf Wieland, dass er sich noch nicht hinreichend mit Busspuren oder Hundeverordnungen beschäftigt hat.

Hält die Debatte an, muss auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen auf der Hut sein. In letzter Zeit mehren sich die Zeichen, dass Diepgen offenbar bis zu einer möglichen Länderfusion 2009 im Amt bleiben will – wenn ihn die Wähler denn lassen: Gegen einen schlagkräftigen Kandidaten wie Gysi dürfte es der CDU-Bürgermeister schwer haben. Nicht, weil plötzlich Unionswähler in Scharen zu den Sozialisten überlaufen. Sondern weil der Amtsinhaber in einem solch neuen Koordinatensystem selbst für CDU-Anhänger reichlich blass aussähe.

Der Kandidatenvorschlag fällt in eine Zeit, in der alte Vorbehalte gegen die Postkommunisten bröckeln – trotz der Rückschlags auf dem Parteitag von Münster. So haben in den vergangenen Monaten die Fraktionschefs von CDU und SPD, Klaus Landowsky und Klaus Wowereit, bereits das öffentliche Gespräch mit Gysi gesucht. Zudem fahndet die Bundes-PDS offenbar fieberhaft nach einer neuen Verwendung für ihren Star. Gysi selbst bekundete jedoch zuletzt, er fühle sich in seinem „tiefsten Innern“ nicht als Politiker.

Die zusätzlichen Stimmen, die ein Kandidat Gysi der PDS zutragen würde, könnten die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung allerdings eher vermindern als erhöhen. Würden die Sozialdemokraten von der PDS überflügelt, könnte deren Lust an rot-roten Planspielen rasch erlahmen. Wäre die SPD auch in einem solchen Bündnis nur der Juniorpartner, hätte sie im Vergleich zur großen Koalition nichts gewonnen. Da wäre es schon besser, Gysi träte für die SPD an – schließlich hatten ihm die Sozialdemokraten schon nach dem Münsteraner Parteitag die Mitarbeiter in ihren Reihen angeboten. Gysi lehnte ab: „Ich bin Sozialist, kein Sozialdemokrat.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen