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: Was ist schon ein Spukschloss, wenn es keine Maisgrütze zu essen gibt? Gespensterstunde mit Oscar Wilde

Bei gebildeten Amerikanern gehobener Schichten

Lord Canterville ist vom Spuk in seinem Haus so sehr entnervt, wie man es als soignierter englischer Aristokrat Ende des 19. Jahrhunderts eben sein kann. Deshalb warnt er den amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis, der Canterville Chase zu kaufen beabsichtigt. Doch Otis wiederum ist ein moderner, aufgeklärter Amerikaner von tüchtig protestantischer Gesinnung und „republikanischer Schlichtheit“: „Es gibt keine Gespenster, und ich glaube nicht, dass die Naturgesetze gewillt sind, sich eigens für die englische Aristokratie außer Kraft setzen zu lassen.“ Die Naturgesetze vielleicht schon, jedenfalls in dieser Schauernovellen-Persiflage, aber nicht die an Indolenz grenzende Gleichmut der amerikanischen Familie Otis. Die nämlich zeigt sich so unbeeindruckt von den gräulichen Spukauftritten Sir Simons, des alten Sünders, der nicht zur Ruhe kommt, weil er ehedem seine einfältige und nicht sehr haustüchtige Frau ermordet hat, von deren Verwandten in Ketten gelegt worden und verhungert ist, dass diesem ganz melancholisch im Gebein wird.

Dem jahrhundertealten Blutfleck, Beweis der einstigen Schandtat, rücken die Amerikaner sogleich mit „Pinkerton Universal-Fleckentod“ erfolgreich zu Leibe, und das Gespenst muss sich am Malkasten der keuschen, schönen Virginia bedienen und jede Nacht nachtünchen (bald sind die Rottöne alle, da leuchtet der Fleck dann stattdessen smaragdgrün). Für die rostige Rasselkette hingegen empfiehlt Vater Otis Schmieröl der Marke „Morgenröte“.

Am schlimmsten freilich treiben es die beiden Jüngsten der Familie, sie legen Fallstricke, bewerfen den Geist mit Kissen und erschrecken ihn schließlich zu Tode, indem sie sich selbst als Gespenst verkleiden. Die letzte Demütigung Sir Simons ist das Schild, das sie dabei um den Hals tragen: „Das Otis-Gespenst / Einzig echter und originaler Spuk / Vor Nachahmung wird gewarnt / Alle anderen sind Fälschungen“.

Diese beiden quirligen, respektlosen Zwillinge werden ganz sinnfällig „Das Sternenbanner“ genannt, „weil sie ständig herumflatterten und gehörig gezaust wurden“ – und nicht zuletzt, weil der Text immer wieder, mehr oder weniger indirekt, die Vereinigten Staaten satirisch aufs Korn nimmt, Wilde keine Gelegenheit auslässt, sich über die von der eigenen Aufgeklärtheit und Überlegenheit so überzeugten US-Snobs lustig zu machen. So spricht man beim Abendessen „über die bei gebildeten Amerikanern gehobener Schichten üblichen Themen“, zum Beispiel über „die selbst in den besten englischen Häusern auftretende Schwierigkeit, Mais in der Milchreife, Buchweizenkuchen und Maisgrütze serviert zu bekommen, die Bedeutung Bostons für die Entwicklung der Weltseele, die Vorzüge des Gepäckaufgabesystems bei Eisenbahnreisen und den Unterschied zwischen dem melodiösen New Yorker Akzent und der gedehnten Aussprache der Londoner“.

Von ganz eigener Qualität ist dieses locker dahingeplauderte, launige Prosa-Parlando, das von der Leichthändigkeit des Stilisten Wilde zeugt. Nicht umsonst war er Herausgeber des Magazins The Woman's World. Es ist wohl dieser heitere Plauderton, von dem sich der ansonsten hervorragenden Otto Sander ein-, zweimal zu etwas mehr Schauspielerei hinreißen lässt, als dem Text gut tut, weil der dann sogleich ins Possierliche abrutscht. Am besten gelingt ihm dann auch der traurig-todessehnsüchtige Monolog des maladen Spuks, der einfach nur noch schlafen will und Virginia inständig um Erlösung bittet.

Ein Pedant wie ich stört sich dann am Ende noch leicht an der kurzen, nicht ganz fehlerfreien Autorennotiz in dem von Volker Kriegel liebevoll illustrierten Booklet: „Das Gespenst von Canterville“ war nicht Wildes „allererste Veröffentlichung“; nicht mal die erste separate – zwei Theaterstücke und den Gedichtband „Poems“ gab es da immerhin schon.FRANK SCHÄFER

Oscar Wilde: „Das Gespenst von Canterville“. Gelesen von Otto Sander (Kein & Aber Records)