: „Faire Wahlen wird es nicht geben“
Der Präsidentschaftskandidat Vojislav Kostunica über die Verhältnisse in Serbien und den Zustand der Opposition
taz: Herr Kostunica, erwarten Sie für den 24. September freie Wahlen?
Vojislav Kostunica: Leider muss man davon ausgehen, dass es in Serbien keine fairen, demokratische Wahlen geben wird. Für Milošević sind Wahlen keine Frage von Erfolg oder Niederlage, sondern des physischen Überlebens. Dafür ist auch die Anklage vor dem Kriegsverbrechertribunal verantwortlich. Trotzdem ist die Teilnahme an den Wahlen im kommenden Herbst das kleinere Übel, als sich kampflos zu ergeben und die Wähler total zu entmutigen. Ein Boykott der Wahlen würde die Gefahr eines Bürgerkrieges heraufbeschwören. Deshalb wird die serbische Opposition ihre Tätigkeit diesbezüglich mit den regierenden Parteien Montenegros koordinieren.
Wie ist die aktuelle Lage in Serbien?
Es herrscht ein Zustand hoher, doch rationierter Repression. Die Universitäts- und Mediengesetze sollen zum Beispiel gezielt diese beiden Bereiche einschüchtern. Das schon vorbereitete Terroristengesetz dagegen soll einem jeden andersdenkenden Bürger Serbiens Angst einjagen. Die konsequente Anwendung dieser Gesetze würde Serbien über Nacht in ein KZ verwandeln. Das ist praktisch unmöglich. Deshalb dosiert das Regime seine Attacken, um nicht unnötige Massenproteste zu provozieren.
Ist da nicht die Opposition aufgerufen, geschlossener gegenüber Milošević aufzutreten?
Die Opposition besteht aus grundverschiedenen Parteien. Viele Oppositionsführer waren noch gestern wichtige Teile des Establishments, wie der ehemalige Bürgermeister von Belgrad, Nebojsa Cović, oder der Exgeneralstabschef Momcilo Perišić, die heute eigene Oppositionsparteien anführen. Sie haben aus Überzeugung die Seite gewechselt, und ich achte diese Tatsache. Andererseits haben auch traditionelle Oppositionsparteien mit Milošević zusammengearbeitet. Natürlich muss man zuerst die belastende Vergangenheit überwinden, um weiterzukommen. Der Opposition bleibt jedoch nichts anderes übrig, als sich zu vereinigen, denn nur so kann sie das Regime bedrohen. Im Augenblick ist das größte Problem die Serbische Erneuerungspartei (SPO) und ihr Vorsitzender Vuk Drašković, weil sie die Einigkeit der Opposition zerstören will.
Die serbische Opposition versucht seit einem Jahrzehnt, sich zu vereinigen. Ohne Ergebnis.
Ja, schon. Aber jetzt sehen wir zumindest, wer sich mit wem einigen kann und wer nicht. Opposition ist kein Singular, sondern ein Plural mehrerer Parteien.
Wie steht es mit der Verfassungsänderung und den geänderten Wahlgesetzen?
Die Verfassungsänderung und die Änderung der Wahlgesetze sollen es Milošević und der regierenden Koalition ermöglichen, die Wahlen zu manipulieren und an der Macht zu bleiben. Diese in Belgrad verfassten Bundesgesetze benachteiligen stark die neben Serbien zweite und viel kleinere jugoslawische Teilrepublik Montenegro. Milošević hat somit die Säulen der jugoslawischen Verfassung in Frage gestellt und drängt Montenegro förmlich in Richtung Unabhängigkeit. Um sich an der Macht zu halten, schreckt er nicht davor zurück, die Föderation zu zerstören.
Existiert Ihrer Meinung nach die Bundesrepublik Jugoslawien überhaupt noch?
Nein. Neben Serbien nimmt auch Montenegro immer mehr die Attribute der staatlichen Unabhängigkeit an.
Interview: ANDREJ IVANJI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen