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Der Himmel muss aus Bambus sein

■ Rolf Baginski leitet das Bürgerhaus Weserterrassen – und hat eine seltene Passion: Er baut Fliegenruten aus gespließtem Bambus, die „Stradivaris“ unter den Angeln / Ein zartes, honigfarbenes Etwas, mit dem sich sowohl Fisch als auch Fischer verführen lassen

Es gibt Dinge, die durchaus nicht lebenswichtig sind, aber trotzdem zu einer Art Lebensaufgabe werden können. Einer dieser Gegenstände, und für Rolf Baginski ist es gewiss der schönste, ist die gespließte Fliegenrute: Ein um die zwei Meter langes, zartes honigfarbenes Etwas aus gespaltenen und präzise verleimtem („gespließten“) Bambus, das wie kaum ein anderes auf der Welt dazu geeignet scheint, mit künstlichen Insekten Forellen zu fangen.

Seit beinahe zwei Jahrhunderten machen sich vor allem Männer darüber Gedanken, wie eine perfekte Angelrute aussieht. Aus dieser Liebhaberei hat sich eine Betätigung entwickelt, die alle Eigenschaften einer echten Handwerkskunst aufweist. Der 46jährige Rolf Baginski aus Bremen ist einer der wenigen Deutschen, die den Bau von Fliegenruten aus gespließten Bambus beherrschen. Im Hauptberuf Leiter des Bürgerhauses Weserterrassen, wird er im nächsten Jahr eine Auszeit nehmen, um ein halbes Jahr lang nichts anderes zu tun, als Ruten zu bauen und in ganz Europa der Tradition seines Lieblingsgegenstandes nachzuspüren.

Schließlich ist es erstaunlich, dass es die feinen Gerten überhaupt noch gibt: Nachdem die Amerikaner im zweiten Weltkrieg Glasfasern als künstlichen Rutenbaustoff entdeckt hatten, wurde seit den 60ern das Naturmaterial Bambus nahezu völlig verdrängt. Heute sind die hochelastischen Fliegenruten – man braucht sie für die Kunst, einen winzigen Köder aus Federn, Haaren und Haken auf elegante Weise zum Fisch zu befördern – aus Hitec-Materialien wie Kohlefaser oder Boron. Eine amerikanische Firma hat eines ihrer Hochleistungsmo-delle folgerichtig nach einem Atom-U-Boot getauft („Trident“).

Dass die Fliegenrute aus Bambus heute trotzdem eine kleine Renaissance erlebt, ist dem Starrsinn einiger älterer Herren zu verdanken, der besonderen Qualität des Materials, gut gefüllten Geldbeuteln und der Sehnsucht nach etwas, das noch nicht aus Plastik ist. Die gespließte Rute ist zum Luxusding geworden. Andererseits: Fliegenfischen war schon immer eine Übung der Betuchten – und ist es teilweise auch heute noch. Demnächst wird Baginski, selbst alles andere als ein Snob, in den Schweizer Nobel-Bergort St. Moritz reisen, um vor erlesenem Publikum Bambus zu spalten.

Arundinaria amabilis – das liebliche Gras – ist die einzige Art dieser Pflanze, die für den Bau ge-spließter Ruten geeignet ist. Sie wird bis zu 12 Meter hoch und gedeiht in einem winzigen Areal im Südosten Chinas. Handelsname: Tonkingrohr. 200 bis 300 Stück bekommt der Bremer Rutenbauer jedes Jahr von seinem Importeur, ein Teil davon hängt unter der Decke seiner Kellerwerkstatt – der Himmel muß aus Bambus sein.

Baginski spaltet die knochentrockenen Riesenstengel in schmale Streifen, er hobelt und fräst, misst, hobelt erneut, richtet gerade, verleimt und wickelt zusammen, was zusammen gehört: sechs gleichmäßig spitz zulaufende Dreiecksprofile, die der Rute eine unerhörte Flexibilitätverleihen. In ihnen konzentriert sich die ganze Kraft der Bambusfasern. Die sechs-eckige Spitze einer solchen Fliegenrute misst teilweise weniger als zwei Millimeter. Ihre Kalibrierung und die Verteilung der störenden Wachstumsknoten sind so etwas wie Geheimwissenschaften.

Nach insgesamt 200 verschiedenen (Hand-)Arbeitsschritten und bis zu 50 Stunden im Keller – meist nachts oder am Wochenende – ist das feine Angelinstrument fertig: Mehrfach lackiert, die Schnurringe mit transparenter Seide fixiert, der Griff aus portugiesischem Kork. 1.300 Mark beträgt der Einstiegspreis – rund 1.000 Mark mehr als eine halbwegs vernünftige Rute aus Kohlefaser. Wer besonderen Luxus liebt – zum Beispiel einen Rollenhalter mit gravierten Nickelsilberbeschlägen – zahlt auch entsprechend drauf. Baginskis Kunden leben in Europa, aber unter anderem auch in Japan und den USA. Das ist der Grund, warum der Rutenbauer seinen Produkten international verständliche Namen gegeben hat: „Horizon“ heißen sie, „Westwind“, oder etwa – nomen est omen – „Harmony“.

Denn „die gespließte Rute schwingt“, sagt Baginski, „das ist der wesentli-che Punkt“.Wer mit ihr fische, müsse bedächtig zu Werke gehen. Sie zwinge ihren Besitzer, ruhiger zu werden, erklärt der Rutenbauer, der selbst seit seiner Kindheit Jagd auf Forellen macht, demnächst wieder in den wilden, freien Gewässern des amerikanischen Nordwestens. Baginski schätzt es, zum Fischen ein natürliches Material zu nutzen, dass schön ist und funktional zugleich. Und auch die Bau-Arbeit hat für ihn eine besondere Qualität: Er könne den Produktionsprozeß vom Anfang bis zum Ende selbst bestimmen, „wo gibt's das noch?“. Die fertigen Ruten signiert der 46jährige, der vor zwanzig Jahren als fischender Lehramtsanwärter seine erste Rute konstruierte, mit seinem Namen.

Im nächsten Jahr wird sich Baginski nun auf eine Reise durch Europa machen, um die noch lebenden Granden seiner Zunft zu besuchen: Durchweg lang ergraute Herren, die dem Fortschrittsglauben der 60er zum Trotz das Wissen um den Bau gespließter Ruten bewahrten. Einer von ihnen – ein Österreicher – ist heute noch aktiv. Alte Handwerkertrickswill Baginski von ihnen erfahren, er will lernen, mit welchen Werkzeugen und Techniken sie gearbeitet haben – und natürlich was für Ruten dabei entstanden. Denn das Fachbuch, das Baginski jetzt für einen Schweizer Verlag schreiben will, soll auch eine Bestimmungshilfe sein: Für diejenigen, die ihre Lebensaufgabe vor allem darin sehen, gespließte Ruten zu sammeln, ohne je mit ihnen zu fischen. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Milko Haase

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