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Websites basteln die Praktikanten

Viele Quereinsteiger fädeln sich erfolgreich in die Multimedia-Jobs ein. Arbeitslose haben es dennoch schwer in der Boom-Branche. In Weiterbildungskursen lernen sie vieles ein bisschen, aber nichts richtig. Gefragt sind selbstbewusste Autodidakten

von BARBARA DRIBBUSCH

Der Geschäftsführer der Computer Vertriebs-Firma „Magic 2000“ musste grinsen. Da saß diese junge Bewerberin vor ihm und verkündete: „Ich kann Web-Seiten gestalten“, was sich anhörte wie: „Ich kann einen Webstuhl bedienen.“ Englisch konnte sie schon mal nicht, so viel war klar. Da meinte der Computermann väterlich, „Mädchen, du musst noch was hinzulernen.“

Die Anekdote mit den „Web-Seiten“ wird gern erzählt, wenn die Bewerber von Multimediaagenturen direkt vom Arbeitsamt kommen. Zwar gilt die Internetbranche als aufnahmefähig für Quereinsteiger aus anderen Berufen. Doch in keiner anderen Branche müssen sich Neulinge so hartnäckig in die Jobs hineinwursteln.

„Die Zeiten sind längst vorbei, wo man mit ein paar bunten Homepages Geld verdienen konnte“, erklärt Tilo Schneider von der Berliner Multimediaagentur Schneider und Schneider. „Websites erstellen, das machen bei uns die Praktikanten.“

Ein Praktikum, das wäre die schon eine Chance für Michael Wirwinski, arbeitsloser Diplom-Betriebswirt. Der 47-Jährige wird in einem einjährigen, vom Arbeitsamt finanzierten Kurs zum „Online-Programmierer“ weitergebildet. Demnächst zieht er los, um sich bei einer Multimediaagentur zu bewerben.

„Schriftliche Bewerbungen haben bei mir keinen Sinn“, meint der allein erziehende Vater. „Da sagen die schon wegen meines Alters: Nein danke!“. Wirwinski setzt auf seine Zähigkeit und auf Arbeitsproben in Form einer Website.

Zwölf Stunden am Tag hat er in den vergangenen Monaten am Computer gesessen, in der Schulung und danach bis spät zuhause. Er kann Websites mit dreidimensionalen Graphiken bauen, jetzt will er noch ein bisschen Programmieren lernen. „Meine einzige Chance ist meine Flexiblität“, meint er.

Jörg Reinking würde das anders sehen. „Die Leute, die übers Arbeitsamt kommen, können oft von allem nur ein bisschen, beherrschen aber nichts richtig“, sagt der Geschäftsführer der Berliner Multimediaagentur Webwerk. Er sucht längst Spezialisten. Graphiker, Informatiker für die Datenbankprogrammierung oder eine Praktikantin für Konzeption und Kundenbetreuung. „Höchstens als freie Mitarbeiter könnten wir jemanden gebrauchen, der nur Websites baut.“

Reinking selbst hat Ethnologie studiert. Dass er seine erste Homepage für das ethnologische Institut bastelte, ist nun gerade fünf Jahre her. „Damals reichten noch eine Startseite und acht Links, die Professoren waren begeistert.“ Neben dem Studium jobbte er für eine Multimediaagentur. Richtig stolz war er, als er für eine Unternehmensberatung einen Internetauftritt zaubern konnte: Das Logo pulsierte als animierte 3-D-Version, die Links leuchteten als grüne Dreiecke. „Aus heutiger Sicht echt grottig“, schaudert es Reinking.

Nächtelang wühlte er sich weiter in die Materie hinein. Er schmiss seinen Hiwi-Job an der Uni und gründete Webwerk. Heute hat die Agentur acht Mitarbeiter und diverse größere Kunden, darunter eine Telekommunikationsfirma.

Der 32-jährige Reinking sieht sich selbst als Autodidakt. Wer einen einjährigen Weiterbildungskurs absolviert hat, der ist für ihn unselbständig. „Im Prinzip kann man sich die Programme selbst beibringen. Die Beispiele kann man doch aus dem Internet herunterladen.“

Sich selbständig in etwas hineinarbeiten erfordert aber viel Geduld und gute Nerven. Nicht einfach für Kerstin Retkowski, Kursteilnehmerin im Berliner Institut für Interkulturelle Kommunikation (IIK). Die 31-jährige gelernte Kindergärtnerin bringt abends nach dem Kurs ihre drei Kinder zu Bett, danach sitzt sie noch „bis nachts um eins am Computer“. Jetzt hofft sie auf ein Praktikum. „Das Zertifikat vom Kurs kannst du in die Tonne treten“, sagt sie, „es zählt nur, was du kannst.“ Wichtige Programme wie Java Script beherrscht sie aber gar nicht.

Nur wenige Kursteilnehmer rutschten über ein Praktikum in eine Anstellung, berichtet Mathias Hahn, der Geschäftsführer des Weiterbildungsinstitutes IIK. Vom letzten Kurs hätten aber immerhin 80 Prozent anschließend eine Arbeit gefunden. „Wenn wir keine Vermittlungsquote von 75 Prozent schaffen, wird der nächste Kurs nicht mehr vom Arbeitsamt finanziert.“ Auch Hahn steht unter Druck.

Wirwinski wäre fürs Erste schon mit einem Praktikum und einer anschließenden freien Mitarbeit zufrieden. „Ein kleine Werbeagentur, und dann Honoraraufträge, das wär doch schon was.“

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