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Mifegyne wird abgetrieben

GynäkologInnen boykottieren medizinischen Schwangerschaftsabbruch, weil dieser nicht angemessen bezahlt wird. Auf die Abtreibungspille können nur noch die Frauen setzen, die die Kosten von 500 bis 650 Mark selbst übernehmen

Schwangerschaftsabrüche mit der Abtreibungspille Mifegyne werden künftig in Berlin nur noch für die Frauen möglich sein, die es sich finanziell leisten können. Für einkommenschwache Frauen, bei denen das Land die Kosten für die Abtreibungen übernimmt, wollen GynäkologInnen medikamentöse Abbrüche nicht mehr durchführen. Der Grund: Die Vergütung ist zu gering.

„Die Zahlungen decken nicht annähernd die Kosten des Abbruchs“, sagte gestern Gynäkologin Gabriele Halder. Die ÄrztInnen bekommen für den Abbruch derzeit 279 Mark. 160 Mark davon kostet das Medikament. Für einen operativen Abbruch in Vollnarkose dagegen erhalten sie 650 Mark, für einen mit Lokalanästhesie 371 Mark. Die Honorare werden von einem bundesweiten Bewertungsauschuss, in dem VertreterInnen der Kassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sitzen, festgelegt.

Krankenkassen übernehmen grundsätzlich die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche nicht. Rund 85 Prozent aller abtreibenden Frauen in der Hauptstadt aber fallen unter eine bestimmte Einkommensgrenze, bei der das Land die Kosten für die Abtreibung erstattet. Das kostet jährlich 6,5 Millionen Mark.

Weil diesen Frauen die medikamentöse Abtreibung künftig nicht mehr offen steht, spricht Gabriele Halder von einer „Zwei-Klassen-Medizin“. Die GynäkologInnen nehmen bei Privatzahlerinnen zwischen 500 und 650 Mark. „Mit dem Boykott wollen wir für Chancengleichheit kämpfen“, betonte Halder. „Es gehe nicht darum, das dicke Geld zu machen.“ Der Ausstieg sei das „letzte Mittel“, um Druck auf den Bewertungsausschuss auszuüben.

Das Interesse der abtreibungswilligen Frauen an Mifegyne ist indes sehr groß, sagte Marianne Rademacher von Pro Familia. Sie bekomme ständig Anfragen, wo dieser Abbruch möglich sei. Weil die Ärzte mit Mifegyne wenig verdienen, waren es bisher auch nur eine Handvoll GynäkologInnen und das Familienplanungszentrum Balance in Lichtenberg, die den medikamentösen Abbruch angeboten haben.

Ersten Schätzungen zufolge treiben nur 1,5 bis 2 Prozent der Frauen in Deutschland mit Mifegyne ab. In Frankreich und Schweden sind es dagegen 35 Prozent. Das Präparat ist seit November vergangenen Jahres in Deutschland auf dem Markt.

Sozialsenatorin Gabriele Schöttler (SPD) setzt sich für eine bessere Vergütung ein. „Es stößt auf Bedauern, aber auch auf Verständnis, dass die GynäkologInnen Mifegyne nicht mehr anbieten wollen“, sagt Reinhard Naumann, der zuständige Referent in der Senatsverwaltung. Schöttler fordert eine Vergütung von 400 Mark. Bereits im März hat die Senatorin einen Brief an den Bewertungsauschuss geschickt. Eine Antwort steht noch aus.

Auch die Gesundheitsministerkonferenz hat sich Ende Juni an den Ausschuss gewandt, ebenfalls ohne Erfolg. Im September kommt der Bewertungsauschuss zu seiner nächsten Sitzung zusammen.

JULIA NAUMANN

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